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„Helfer verdienen unsere Solidarität“

Auch die Militärseelsorge arbeitete mit afghanischen Ortskräfte zusammen

Nach der Machtübernahme der ­Taliban in Afghanistan läuft eine dramatische Rettungsaktion der Bundeswehr, um deutsche Botschaftsangehörige und afghanische Ortskräfte auszufliegen. Ist auch die Militärseelsorge mit dabei? Darüber sprach Sibylle Sterzik mit Walter Linkmann, dem Sprecher der Evangelischen ­Militärseelsorge in der Bundeswehr.

Herr Linkmann, wie begleitet die Militärseelsorge die derzeitige Evakuierungsaktion der Bundeswehr in Afghanistan?

Über das Einsatzführungskommando der Bundeswehr sind wir in den Informationsfluss eingebunden. Auch an anderen Standorten begleiten die Militärgeistlichen Soldatinnen und Soldaten, die sich auf den kurzfristigen Einsatz vorbereiten. Das Seelsorge-Angebot besteht ­natürlich auch, wenn die Flugzeuge dann zurückkommen. Für die Auf­gaben der Militärgeistlichen auch in solchen Kriseninterventionen gibt es bewährte und gewachsene Regeln und Abläufe, die in der Ausbildung für Seelsorger in der Bundeswehr ihren Platz haben und die auch geübt werden. Gegenwärtig sind mehrere Militärgeistliche in speziellen Rufbereitschaften.

Werden Militärseelsorger vor Ort bei dem Bundeswehreinsatz mit in Afghanistan sein? 

Aktuell ist noch keine Anforderung ergangen, aber Militärgeist­liche stehen auch für die Begleitung nach Afghanistan oder für seel­sorgerliche Betreuung in einer Drittland-Basis bereit. Es sind Geistliche mit Afghanistanerfahrung. Wie genau die Operation ausgeführt wird, wird im Detail gerade erst festgelegt und es wäre auch gar nicht sinnvoll, im Vorhinein Einzelheiten einer so kritischen militärischen Operation auszubreiten. 

Worin besteht ihre Aufgabe?

Mit vier Begriffen lassen sich ­generell die Aufgaben der Militärseelsorge beschreiben: Begleiten, Ermutigen, Verkündigen, Orientieren. Dass während einer laufenden Evakuierungsaktion Zeit und Ruhe für einen Gottesdienst oder ethische Grundsatzgespräche ist, ist unwahrscheinlich, aber auf jeden Fall ist es wertvoll, dass Menschen dabei sind, mit denen die Soldaten und die Evakuierten zusammen sein, reden und beten können, Menschen, die mitten in der notwendigen Effektivität und Nüchternheit einer Kommando­aktion Zeit haben. Der beruhigende Einfluss einer Seelsorgerin oder eines Seelsorgers hilft auch nicht selten zu rationalen und konstruktiven Lösungen. Und eine Evakuierung am Hindukusch bedeutet ja nicht nur den Einsatz vor Ort auf den Flugfeldern oder in den Städten, sondern auch Stunden des Wartens während des Fluges, auf der Rückreise oder bei Zwischenstationen.

Wie bereitet sich die Militär­seelsorge auf die Ankunft der ­evakuierten Menschen und der Bundeswehrsoldaten im Einsatz hier in Deutschland vor?

Da, wo die Bundeswehr die Menschen in Empfang nimmt, ­werden die Militärgeistlichen dabei sein und sich einbringen. Nach schwierigen Einsätzen gibt es für Soldatinnen und Soldaten immer die Gelegenheit, das Erlebte im Gespräch mit der Militärseelsorge aufzuarbeiten – einzeln oder in der Gruppe. Das Angebot besteht selbstverständlich auch später noch.

Meine Bitte ist, dass wir dieses Thema nicht an die Militärseelsorge, die Bundeswehr oder die Regierung delegieren. Die Soldatinnen und Soldaten, die anderen Deutschen, die aus Afghanistan evakuiert werden, und vor allem die Menschen, die von dort fliehen müssen, weil sie als ­Helfer der internationalen Gemeinschaft gelten: Sie alle verdienen das Interesse und die Solidarität unserer gesamten Gesellschaft – nicht für ein paar Stunden oder Tage, sondern über lange Zeit.

Über die einzelnen Schicksale, mit denen wir es zu tun haben, ­hinaus  werden unsere Militärgeistlichen immer – und in Bezug auf ­Afghanistan aktuell höchst intensiv – für Gespräche über den Sinn und die Ziele der Auslandseinsätze in ­Anspruch genommen.

Die Militärseelsorge setzte sich frühzeitig dafür ein, mehr afghanischen Ortskräften ein Visum für die Übersiedlung nach Deutschland zu ermöglichen. Nach der Macht­übernahme der Taliban sind auch ­Mitarbeitende von kirchlichen Hilfsorganisationen und Botschaftsangehörige in Gefahr. Hat die Bundes­regierung zu spät reagiert?

Seit dem Beschluss zum Abzug der internationalen Truppen im Frühjahr haben sich viele für eine großzügige und unbürokratische Aufnahme eingesetzt – darunter auch die maßgeblichen Mitglieder der Bundesregierung. Auch die Militärseelsorge hat sich sofort hinter dieses Anliegen gestellt. Wenn wir jetzt über die Meldungen aus ­Afghanistan erschüttert sind, ­müssen wir unsere Anstrengungen dareinsetzen, Lösungen zu finden, die Menschenleben retten. Das ist ungleich wichtiger, als Kommentare von der Seitenlinie zu geben.

Arbeitete die Militärseelsorge auch mit afghanischen Ortskräften zusammen und befürworten Sie auch für diese Menschen und ihre Familien eine Rettungsaktion?

Ja. In den „Oasen“, den kirchlichen Betreuungseinrichtungen in den Einsatzkontingenten gab es auch einheimische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind dankbar, dass die Bundesregierung ihnen allen ermöglicht hat, über die entsprechenden Programme ein Visum zu bekommen. Darüber, wer sich zurzeit wo befindet, fehlen mir verlässliche Angaben und ich wünsche allen, die jetzt die Rache der Taliban fürchten, dass sie sichere Zufluchtsorte finden.