Der Bremer Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken wird trotz massiver Proteste an die nicht-binäre Journalistin und Autorin Masha Gessen verliehen. Sie werde die Auszeichnung nun am Sonnabend ab 11 Uhr bei einem Symposium im Bremer Institut Français im kleineren Rahmen erhalten, teilte der Trägerverein mit. Ursprünglich sollte Gessen der mit 10.000 Euro dotierte Preis am Freitag in der Oberen Rathaushalle übergeben werden.
Am Mittwoch hatten der Bremer Senat und die Heinrich-Böll-Stiftungen in Bremen und Berlin ihre Teilnahme überraschend abgesagt. Sie begründeten ihre Entscheidung mit einem Essay von Gessen im US-Magazin „The New Yorker“ vom 9. Dezember. Darin habe sie Gaza mit den jüdischen Ghettos im besetzten Europa verglichen und unterstellt, dass Israel das Ziel habe, Gaza wie ein Nazi-Ghetto zu liquidieren. Diese Aussage sei Geschichtswerkessen und nicht akzeptabel.
Trägerverein bedauert die Absagen
Der Trägerverein bedauerte in einer Erklärung die Absagen: „Wir finden es bemerkenswert, dass der öffentliche Streit um das Verstehen und das Be- und Verurteilen der Terrorangriffe der Hamas auf Israel und der Bombardierung Gazas durch Israel dadurch blockiert wird, dass eine politische Denkerin boykottiert wird, die darum bemüht ist, Kenntnis, Einsicht und ein scharfes Denkvermögen in diesen Streit einzubringen.“
You’d think, with all the attention to the Arendt Prize debacle, I’d be inundated with media calls/texts. You’d be wrong. Not one German journalist has reached out for comment. One US journalist did. All reporting has happened with no input/reaction from me. Inaccuracies pile up
— masha gessen (@mashagessen) December 14, 2023
Weiter betonte der Verein, dass er eine unabhängige Institution sei, die lediglich von der Heinrich-Böll-Stiftung und vom Senat der Hansestadt unterstützt wird. „Der Verein ist keine Stiftung der Heinrich-Böll-Stiftung.“ Die Auszeichnung stehe „für eine offene Streitkultur, für das Zulassen und das Aushalten von Kontroversen, für unangenehme Einsichten, neue Verständnisweisen und kenntnisreich geführte öffentliche Debatten“.
Jury: Gessen gehört „zu den mutigsten Chronistinnen der Zeit“
Anfang August hatte die unabhängige Jury des Hannah-Arendt-Preises die russisch-amerikanische Gessen zur Preisträgerin auserkoren. Nach Ansicht der Jury gehört Gessen „zu den mutigsten Chronistinnen der Zeit“. Seit Jahren analysiere Gessen politische Machtspiele und totalitäre Tendenzen in der amerikanischen und russischen Gesellschaft ebenso wie den zivilen Ungehorsam und die Liebe zur Freiheit, hieß es.
Masha Gessen wurde 1967 in Moskau geboren und emigrierte 1981 in die USA. 1991 kehrte die Person für journalistische Arbeit nach Russland zurück. Sie ist in der Schwulen- und Lesben-Bewegung aktiv und ging 2013 wegen der zunehmenden Verfolgung dieser Bewegung in Russland wieder in die USA zurück. Zurzeit lebt Gessen in New York.