Berlin (epd). Der Philosoph Jürgen Habermas widerspricht dem CDU-Politiker. Er hält eine solche Leitkultur für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Eine liberale Auslegung der Verfassung verlange "die Differenzierung der im Lande tradierten Mehrheitskultur von einer allen Bürgern gleichermaßen zugänglichen und zugemuteten politischen Kultur", schrieb Habermas in einem Gastbeitrag für die "Rheinische Post" (Mittwoch). Deren Kern sei die Verfassung selbst. Zustimmung erhielt de Maizière dagegen vom Soziologen Ruud Koopmans.
Erbe des Holocaust
Der niederländische Wissenschaftler hält die von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) angestoßene Leitkultur-Debatte für notwendig. "Nicht nur Deutschland, jedes Land der Erde braucht eine Leitkultur, und die stabilen Staaten haben auch alle eine nationale Kultur", sagte Koopmans der Tageszeitung "Die Welt" (Mittwoch). Für den in Berlin lehrenden Integrationsforscher ist "etwas ganz spezifisch Deutsches der Umgang mit der Vergangenheit. Das historische Erbe des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, das ist deutsche Leitkultur."
Man könne "nicht deutsch sein, ohne sich für den Holocaust zu schämen". Es gebe Einwanderer, die als Deutsche behandelt werden wollten, aber mit dem Holocaust nichts zu tun haben wollten, weil es ja nicht ihre Vorfahren gewesen seien. Das hält Koopmans für eine falsche Haltung: "Wenn sie sich antisemitisch äußern oder Israel das Existenzrecht absprechen, können sie nicht gleichzeitig beanspruchen, als Deutsche behandelt zu werden."
Habermas schrieb, ihn hätten die Thesen über eine deutsche Leitkultur erstaunt. "Keine Muslima darf dazu genötigt werden, beispielsweise Herrn de Maizière die Hand zu geben", erklärte der emeritierte Professor für Philosophie und Soziologie. Allerdings müsse die Zivilgesellschaft von eingewanderten Staatsbürgern erwarten, dass sie sich in die politische Kultur einleben, auch wenn sich das rechtlich nicht erzwingen lasse. Versuche der rechtlichen Konservierung einer Leitkultur widersprächen aber nicht nur dem liberalen Grundrechtsverständnis, sondern seien auch unrealistisch.
Einzelstimme in der CDU
Unterstützung erhielt de Maizière außerdem von CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Er sagte dem Deutschlandfunk, es gehe nicht um ein Gesetz, sondern um eine Debatte darüber, "was unsere Kultur prägt, was unser Zusammenleben ausmacht". Diese Debatte sei ein Wert an sich und es könne dadurch ein Konsens entstehen. Die Kritik vom früheren CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz an dem Beitrag de Maizières bezeichnete Spahn als Einzelstimme in der CDU.