Kürzlich lehnte die Caritas Deutschland, der katholische Wohlfahrtsverband, seine Zustimmung zu einem von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgeschlagenen flächendeckenden Tarifvertrag in der Pflege ab. Wie steht die Diakonie dazu? „die Kirche“ fragte nach bei Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO). Im Interview mit Uli Schulte Döinghaus, spricht sie über Unter- und Obergrenzen im Pflegetarif, zähe Verhandlungen und über die „Refinanzierung“ von Gehältern.
Frau Eschen, vor Kurzem scheiterte eine allgemeine Verbindlichkeitserklärung eines Pflegetarifvertrages an den Arbeitgebern der Caritas. Sie lehnten einen bundesweiten Branchentarifvertrag ab. Sie begründeten das mit der Sorge, dass die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen nicht mehr den Unterschied zwischen dem Branchentarifvertrag und den (höheren) Löhnen refinanzieren würden, die bei kirchlichen Dienstgebern üblich sind.
Die Gefahr, dass die Untergrenze zur Obergrenze wird, sehen wir auch.
Ein bundesweiter Branchentarifvertrag Altenpflege wäre vermutlich unter den Abschlüssen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände geblieben.
In den meisten Fällen ja. Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie (AVR) kennen keine Branchentarifverträge. Dienstgeber wie Dienstnehmer lehnen eine Zersplitterung des AVR-Tarifs ab. Hier hätte es den Einstieg in eine ungute Entwicklung geben können.
Hätten die diakonischen Kommissionen nach der Ablehnung durch die Caritas-Gremien nicht wenigstens ein Zeichen setzen müssen, um ihre Solidarität mit den eher mäßig bezahlten Beschäftigen in den privatwirtschaftlich organisierten Pflegeunternehmen zu zeigen?
Eine Entscheidung hätte keinerlei Änderung der Situation herbeigeführt. Aber schauen wir nach vorn: Der Gesundheitsminister will die Versorgungsverträge an eine Tarifunterwerfung binden. Versorgungsverträge sollen danach ab dem 1. Juli 2022 nur mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die ihren Mitarbeitenden im Pflege- und Betreuungsbereich eine Entlohnung zahlen, die in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vereinbart ist, an die die Pflegeeinrichtung gebunden ist. Das wäre gut.
Warum?
Damit wäre der Willkür in der Bezahlung begegnet und zugleich die Tarifautonomie gesichert.Ausgerechnet die Verbandsvertreter der „Privaten“, denen das Scheitern des Branchentarifvertrages am meisten nützt, stellen die kirchlichen Arbeitgeber ständig in Frage, zum Beispiel wegen des „Privilegs“, dass sie nicht mit Gewerkschaften verhandeln müssen.
Die privatgewerblichen Pflegeanbieter müssen ja auch gar nicht mit den Gewerkschaften verhandeln. Darin liegt das Problem: Viel zu viele wenden Haustarife an. Erzwingungsstreiks zur Aufnahme von Verhandlungen durch Gewerkschaften bei den privatgewerblichen Anbietern unterbleiben auch, da der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Pflege viel zu gering ist und die Gewerkschaften deshalb nicht durchsetzungsfähig sind. Weil die Unterwerfung unter den Dritten Weg und die Anwendung der AVR zu den Mitgliedspflichten der Diakonie gehören, haben wir hingegen eine hohe Tariftreue (diakonieweit konstant über 90 Prozent), die eine ordentliche und transparente Bezahlung gewährleistet – ein hohes Gut.
In welcher Phase sind die Verhandlungen über Arbeitsvertragsrichtlinien zurzeit, wann wird neu abgeschlossen?
Die Laufzeit der derzeitigen „AVR DWBO Entgelte“ reicht bis einschließlich 31. Dezember 2021. Für die Zeit danach wird ein Abschluss Ende April 2021 erwartet. Die Verhandlungen dazu laufen gerade.
Wer handelt die Arbeitsverträge aus, die dann für die Dienstnehmer und Dienstgeber des DWBO verbindlich sind?
Die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) werden durch die paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommission (AK DWBO) ausgehandelt. Die ist von uns als DWBO Landesverband und auch von der EKBO unabhängig.
Von welchen Vorgaben lassen sich die beteiligten Seiten vor und während eventueller Verhandlungen leiten, wenn es um die Lohnfindung geht?
Grundsätzlich gilt es, angemessene Gehälter und Refinanzierbarkeit in Einklang zu bringen. Dafür werden auch konkurrierende Tarifwerke betrachtet. Die Anerkennung der AVR macht uns im Zuwendungsbereich in Berlin und Brandenburg zu schaffen, weil nicht alle Gehaltsbestandteile als refinanzierbar anerkannt werden. Zugleich schafft das Land Berlin mit einer Hauptstadtzulage zusätzliche Verwerfungen.
Und in der Pflege: In immer stärkerem Maße sehen sich unsere Träger in der ambulanten Pflege erzwungen, in Einzelverhandlungen die Refinanzierung ihrer Arbeit, insbesondere die der Gehälter durchzusetzen. Wir sehen es als unsere Aufgabe als Verband an, diese sehr schwierigen und aufwendigen Verhandlungen zu unterstützen.
Sind die kirchlichen Dienstgeber im umkämpften Arbeitsmarkt „Pflege“ begehrt?