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„Grausame Asyllotterie“

Wenn Kirchenasyl zur Straftat wird. Bruder Dieter Müller SJ vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst im Interview.

Das Amtsgericht Würzburg verurteilte am 2. Juni eine Ordensfrau von den Oberzeller Franziskanerinnen zu einer Geldstrafe von 500 Euro, weil sie Nigerianerinnen Kirchenasyl gewährt hat. Ihnen drohte in ihrer Heimat Zwangsprostitution. Es ist der zweite Prozess dieser Art in Bayern innerhalb weniger Wochen, mit unterschiedlichem Ausgang. Einen Mönch aus der unterfränkischen Abtei Münsterschwarzach, Bruder Abraham Sauer, sprach das Amtsgericht Kitzingen dagegen frei. Er hatte einen Flüchtling in der Abtei aufgenommen. Dieter Müller über einen Richter und sein Urteil.

Herr Müller, die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat sich kritisch zu dem Ausgang der Gerichtsverhandlung gegen Schwester Juliana geäußert. Wie schätzen Sie das Urteil ein?

Das Urteil liegt noch nicht schriftlich vor. Was sich aber sagen lässt, ist, dass Schwester Juliana Seelmann sich wie Bruder Abraham in seiner Verhandlung in Kitzingen am 26. April auf ihr Gewissen und ihren Glauben berufen hat. „Weil ich nicht anders konnte“, habe sie so ­gehandelt. 

Der Richter am Amtsgericht Würzburg setzte sich im Gegensatz zu seiner Kollegin in Kitzingen so gut wie gar nicht mit Artikel 4 des Grundgesetzes auseinander. Stattdessen bezeichnete er die Gewährung von Kirchenasyl als offenen Rechtsbruch, der nicht entschuldigt werden könne. Und bekräftigte noch: „Wir leben in einer Demokratie, nicht in einem Gottesstaat.“ 

Wie beurteilen Sie diese richter­liche Äußerung? 

Inhaltlich muss man das Urteil akzeptieren, auch wenn es nicht gefällt. Die richterliche Unabhängigkeit ist Kennzeichen eines Rechtsstaats, differierende Gerichtsentscheidungen können durchaus nebeneinander stehen, solange keine obergerichtliche Rechtsprechung existiert. Nicht akzeptabel ist jedoch die Polemik des Würzburger Richters, wenn er in Zusammenhang mit Kirchenasyl von einem „Gottesstaat“ fabuliert. Bitte die Kirche im Dorf lassen! möchte man ihm zurufen.

Gilt Schwester Seelmann jetzt als vorbestraft?

Was einen Eintrag ins Bundeszentralregister betrifft Ja. Dort werden alle gerichtlich verhängten Strafen erfasst. Im Führungszeugnis hingegen tauchen nur Verurteilungen zu mehr als 90 Tagessätzen auf. Dort würde also bei Schwester Seelmann, die zur Zahlung von 30 Tagessätzen auf Bewährung verurteilt wurde, nichts stehen. Aber das Urteil ist ja noch nicht rechtskräftig. Wenn Schwester Seelmann Rechtsmittel einlegt, stellt sich die Frage der Vorstrafe vorerst nicht.

Ist die „harte Gangart“ ein typisch bayerisches Phänomen oder ­beobachten Sie bundesweit einen schärferen Gegenwind in Bezug auf das Kirchenasyl?

Eindeutig ist die bayerische Gangart eine besonders harte. Bereits 2017 drohten die drei bayerischen Generalstaatsanwaltschaften mit Strafmaßnahmen gegen kirchenasylgebende Gemeinden und Gemeinschaften. Hunderte Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, die aber ziemlich alle wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden. Gegen mich liefen damals auch vier solche Verfahren. Die Drohgebärden wurden nun mit den bisher bekannten Strafbefehlen gegen Mutter Mechthild Thürmer, der Äbtissin des ­Konvents Maria Frieden, Bruder Abraham und Schwester Juliana ­verschärft. Regional gesehen ­beschränkt sich diese Entwicklung bisher auf Franken.

Welches Signal gibt dieses Urteil an die meist ehrenamtlichen ­Menschen, die sich in über 400 Kirchenasylen bundesweit einsetzen und an die geflüchteten Menschen in auswegloser Situation?

Es bleibt zu hoffen, dass es nicht abschreckt. Demgegenüber steht ja der Freispruch im Fall von Bruder Abraham. Zurzeit beobachten wir jedenfalls noch keinen Einbruch bei der Gewährung von Kirchenasyl. Nun werden vermutlich in beiden Verfahren Rechtsmittel eingelegt, deren Ausgang dann wohl über längere Zeit offen bleibt.

Was fordern Sie von den politisch Verantwortlichen und Behörden im Blick auf das Kirchenasyl?

Es geht bei den allermeisten Kirchenasylen um sogenannte Dublin-Fälle, also um die Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaat für das Asylverfahren. Die frühere EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat schon vor zehn Jahren die höchst unterschiedlichen Standards in den Mitgliedsstaaten als „grausame Asyllotterie“ bezeichnet. Wir von der Bundesarbeitsgemeinschaft fordern, dass individuelle Härtefälle – und nur um solche geht es beim Kirchenasyl – eine stärkere Berücksichtigung bei dem für Asylverfahren zuständigen Bundesamt finden. Ein Rechtsstaat zeichnet sich nicht allein durch Regeltreue aus, sondern auch durch Humanität.

Die Fragen stellte Sibylle Sterzik.