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“Gewächshaus für Beziehungen”

In den Osterferien haben sich mehrere Hundert Konfirmanden aus dem niedersächsischen Wesermünde aufgemacht, um auf 15 Segelschiffen von Lelystad aus Abenteuer auf dem niederländischen Ijsselmeer zu erleben – in diesem Jahr zum 20. Mal. Die Flotte sei ein Beispiel für moderne Konfi-Arbeit, die große Zukunft hat, meint der Theologe und Ludwigsburger Professor für Gemeindepädagogik, Wolfgang Ilg. Ein Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über sinkende Konfirmandenzahlen, Demütigungen der Vergangenheit und das, was die Kirche heute Jugendlichen geben kann.

epd: Herr Ilg, nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geht die Zahl der Konfirmierten seit Jahren zurück. Woran liegt das?

Wolfgang Ilg: Ja, das stimmt und gilt leider für alle Bereiche kirchlicher Arbeit. 2012 waren es in Deutschland noch 227.000 Konfirmationen, zehn Jahre später 138.000. Ein Minus von 39 Prozent, das ist schon massiv. Man muss allerdings dazu sagen, dass die Jugendlichen nicht etwa die Lust an der Konfi-Arbeit verloren haben. Die Zahl der evangelischen Jugendlichen ist schlicht deutlich zurückgegangen, im eben angesprochenen Zeitraum um 30 Prozent. Die Quote der evangelischen Jugendlichen, die sich konfirmieren lassen, liegt aber immer noch bei 80 Prozent. Das ist im kirchlichen Bereich geradezu spektakulär positiv. Über die Beweggründe der allerdings auch allmählich steigenden Zahl der „Nonfirmanden“, also der evangelischen Jugendlichen, die sich nicht konfirmieren lassen, wissen wir wenig. Ob es der Zeitaufwand ist oder inhaltliche Gründe – darüber wurde noch kaum geforscht.

epd: Stichwort Inhalte: Wie hat sich denn die Konfi-Arbeit über die Jahre verändert?

Ilg: Da gibt es eine große Spannbreite. Es gibt mancherorts noch den althergebrachten Unterricht, insgesamt aber einen deutlichen Wandel. Früher wurde den Jugendlichen vermittelt: Wir prüfen mal, ob ihr reindürft in die Kirche. Ihr müsst was lernen, bevor ihr ein echter Teil der Kirche werden könnt. Es gab Prüfungsgottesdienste, die auch durchaus demütigend waren für die Konfis, die ihre Texte nicht konnten. Die wurden teilweise regelrecht vorgeführt. Da hat sich viel geändert. Das kommt auch in einer anderen Bezeichnung zum Ausdruck.

epd: Inwiefern?

Ilg: Früher wurde vom Konfirmandenunterricht gesprochen, dann von Konfirmandenarbeit. Heute spricht man gendersensibel von der Konfi-Arbeit. Es geht jetzt eben in erster Linie nicht mehr um einen Unterricht, schon gar nicht um ein Abprüfen, sondern um die gemeinsame Suche nach Orientierung im Leben. Da sind die Lebenswelten der Jugendlichen entscheidend. Eine gute Konfi-Arbeit leistet eine Übersetzung zwischen den Themen der Jugendlichen mit ihren Fragen und dem, was der christliche Glaube anbietet.

epd: Um welche Themen geht es genau?

Ilg: Was bin ich wert? Wie stark wird mein Wert über Leistung definiert? Da hat der christliche Glaube eine Antwort, nämlich: Du bist ein Geschöpf Gottes und geliebt so wie du bist, mit allen Ecken und Kanten. Es geht auch um Fragen wie: Wo gehöre ich hin, was ist eine Gemeinschaft, die trägt? Wie gehe ich mit irritierenden Erfahrungen des Lebens um, mit Krankheit, Sterben und Tod? Solche Themen werden gesellschaftlich immer noch ziemlich tabuisiert. Und was ist mit Krisen, die Jugendliche im Verlauf der Corona-Pandemie hautnah mit verstärkten psychischen Problemen mitbekommen haben. Wo kommt das vor, wo darf ich auch mal über die Dinge reden, wo ich nicht instagramable, also vorzeigbar bin? Eine gute Konfi-Arbeit sagt da: Lass uns mal ehrlich sein und Räume schaffen, um unser Leben anzuschauen.

epd: Inhalte sind das eine, die Form das andere. Wie können diese Themen ganz praktisch und lebensnah bearbeitet werden?

Ilg: Die Flotte auf dem Ijsselmeer bietet da schon einen sehr guten erlebnispädagogischen Rahmen, der aus meiner Sicht gar nicht so sehr vom Sensationellen lebt. Es geht in erster Linie um den Alltag auf dem Meer, wo auch mal ein Sturm kommen kann. Man muss seinen Beitrag leisten, jeder hat da eine Funktion, Gemeinschaft wird erfahrbar. Der Glaube ist eingebettet in einen ganz alltäglichen Rahmen: Die Mannschaft an Bord, die zusammen die Segel hisst, lässt sich auch übertragen auf die christliche Gemeinde. Im Zentrum stehen Beziehungen, in drei Dimensionen: Die Beziehung der Jugendlichen zu sich selbst, also die Persönlichkeitsbildung, die Beziehungen zu anderen in der Gruppe und die Beziehung zu Gott, Spiritualität. Wenn sich diese drei Beziehungs-Ebenen erleben lassen, ist es eine gute Konfi-Arbeit. Und ich glaube, ohne dass ich bisher selber dabei gewesen bin, dass das auf einer solchen Flotte ganz hervorragend möglich ist. Dazu kommt: Die Jugendlichen haben an Bord Zeit und die Chance, mit ehrenamtlichen Teamern zu reden, die ja nur unwesentlich älter sind als sie selbst und viel näher an ihren Themen dran sind.

epd: Wäre die Flotte so gesehen beispielhaft für gute Konfi-Arbeit?

Ilg: Ich bin überzeugt, dass innovative Projekte wie die Flotte eine große Zukunft haben. Zentral sind dabei für mich aber gar nicht so sehr die Schiffe. Das ist ohne Frage ein tolles Angebot. Entscheidend ist die Intensität des gemeinsamen Erlebens, sind die Menschen, die dabei sind. Und das gibt es mittlerweile in fast jeder Gemeinde bei Konfi-Freizeiten und -Camps, überall da, wo man über mehrere Tage miteinander unterwegs ist. Das ist wie ein Gewächshaus für Beziehungen. Da sind optimale Bedingungen, dass man miteinander in Kontakt, ins Gespräch kommt, nicht nur an der Oberfläche bleibt.

epd: Wie wichtig ist den Konfirmanden das Geld, das sie geschenkt bekommen?

Ilg: Wir haben in unseren Studien tatsächlich auch immer wieder die Motive erfragt, sich konfirmieren zu lassen. Da stand an erster Stelle der Segen, dann das Familienfest und an dritter Stelle das Geld und Geschenke. Das gehört zusammen und ich finde das auch völlig in Ordnung. Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft Weltmeister wird, kriegt die auch einen Haufen Geld. Trotzdem würde wohl niemand sagen, die haben nur wegen des Geldes gespielt. Die alleinige Motivation ist Geld jedenfalls nur bei wenigen Jugendlichen. Die meisten wollen sich auseinandersetzen mit Grundfragen des Lebens und des Glaubens und wollen auch mal schauen, was die Gemeinde zu bieten hat. Heutzutage steht die Kirche quasi auf dem Prüfstand, nicht mehr die Jugendlichen.

epd: Und nach der Konfirmation? Dann sind die Jugendlichen meist verschwunden…

Ilg: Gemeinden gelingt es tatsächlich nur selten, Konfirmierte für kirchliches Engagement zu begeistern. Das ist ein neuralgischer Punkt, an dem schon viel probiert wurde, bisher wenig erfolgreich. Da, wo es gut läuft, sind es oft sogenannte Trainee-Angebote, die Jugendliche interessieren und mit denen sie direkt eine Mitarbeit aufnehmen als Teamer. Das kann sicher noch ausgebaut werden.

Andererseits sehe ich die Konfi-Zeit auch als abgeschlossenen Abschnitt mit einem Eigenwert. Es gibt ja auch andere Dinge im Leben, die man projektartig macht, zum Beispiel einen Tanzkurs. Ich frage mich aber auch, warum Kirchengemeinden nicht schon nach fünf oder zehn Jahren dazu einladen, mal zu erzählen, was das Leben seit der Konfirmation gebracht hat, ähnlich wie bei der goldenen Konfirmation nach 50 Jahren. Die erste Nachricht, die man im Erwachsenenalter von der Kirche kriegt, ist oft der Abzug der Kirchensteuer auf dem Gehaltszettel. Das ist zu wenig, wenn die Kirche wirklich attraktiv und lebensnah sein will.