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Geist der Zuversicht

Gegen Angst vor Flüchtlingen und Hetze setzt der EKD-Ratsvorsitzende die Hoffnung, dass es gelingen kann, die Flüchtlingskrise zu meistern. Auch den Glauben möchte er wieder stärken

wollertz - Fotolia

Im November wurde Heinrich Bedford-Strohm in seinem Amt als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bestätigt. Bereits ein Jahr zuvor hatte er das Amt von Nikolaus Schneider übernommen. Über das erste Jahr an der Spitze der EKD und über zukünftige Herausforderungen seiner sechsjährigen Amtszeit sprach Benjamin Lassiwe mit der bayerischen Landesbischof.

Sie sind seit gut einem Jahr im Amt als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Was haben Sie in der Zeit bewirken können?
Natürlich hat uns das große Thema dieses Jahres, das Thema Flüchtlinge, auch als Kirche sehr bewegt. Das kann auch gar nicht anders sein. Denn das Thema ist ein Kernthema unseres christlichen Glaubens: Es geht um Menschen in Not. Es geht um Menschen, die ihre Heimat verlieren und fliehen müssen. Das sind auch Kernthemen der Bibel. Wenn wir als Christen unseren Glauben ernst nehmen, können wir gar nicht anders, als uns hier einzumischen.

Angela Merkel hat zum Thema Flüchtlinge gesagt: „Wir schaffen das“. Was sagt der Ratsvorsitzende der EKD?
Wir sagen natürlich, dass wir als Christen in so einer Situation besonders gefragt sind. Es ist selbstverständlich, dass wir jetzt anpacken und einen Geist der Zuversicht und Hoffnung verbreiten. Deswegen werden wir auch weiterhin alle unterstützen, die sich darum bemühen, mit der aktuellen Situation so umzugehen, dass es den Grundorientierungen Europas und dem Grundgesetz unseres Landes entspricht.

In Ihrem neuen Buch betonen Sie ja auch, dass die Kirchen sich schon immer gegen den Rechtsextremismus eingesetzt haben. Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Stimmung in Deutschland kippt.
Ich würde das Wort „kippen“ nicht gebrauchen: Denn die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist nach wie vor sehr groß. Allein in den christlichen Kirchen engagieren sich mehr als 200 000 Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit. Aber wir haben es mit einer Situation zu tun, in der niemand einfach eine klare Lösung vorlegen kann. Damit umzugehen ist die eigentliche Herausforderung. Wir müssen es so machen, dass wir in 20 Jahren sagen können: Wir haben es geschafft und wir haben es gut geschafft.

Sie rechnen damit, dass die Flüchtlingskrise noch 20 Jahre dauert?
Es wird auch in Zukunft Zuwanderung geben, und es werden auch Menschen wieder zurückgehen. Aber es wird eine Daueraufgabe für die Gesellschaft bleiben, dafür zu sorgen, dass unsere Grundorientierungen nicht zur Disposition stehen. Dazu gehört die Glaubens- und Gewissenfreiheit, dazu gehört die Toleranz. Dass Menschen hier die Möglichkeit haben, ihren Glauben leben zu können, ohne dass sie Angst vor Verfolgung haben müssen, ist eine große Errungenschaft, und übrigens auch der Grund dafür, dass Menschen hierzulande Zuflucht suchen. Eine Stärkung der Menschenrechte und der Grundrechte unseres Grundgesetzes ist meiner Ansicht nach das wichtigste Zukunftsprojekt unserer Gesellschaft.

Trotzdem sehen wir ein massives Erstarken der nationalpopulistischen AfD. War das Engagement der Kirche gegen Rechts in den letzten Jahren fruchtlos?
Das glaube ich nicht. Da wo sich Rechtsextreme festsetzen, finden sich auch heute Bündnisse der Zivilgesellschaft zusammen. Natürlich muss man unterscheiden: Es gibt die berechtigten Sorgen von Bürgern, die manchmal auch Defizite zeigen, auf die man hinweisen muss. Es gibt aber auch die Hetze gegen Gruppen von Menschen, und da ist dann die rote Linie erreicht. Da müssen wir klare Kante zeigen. Das dürfen wir nicht dulden. Da müssen wir ganz klar sagen: So geht das nicht.

Ist das in der Kirche überall angekommen? Es laufen ja auch bei Pegida Christen mit, und Frauke Petry ist immerhin evangelische Pfarrfrau gewesen…
Nach meiner Erfahrung berufen sich oft Menschen auf das christliche Abendland, die aus der Kirche ausgetreten sind und nicht zu den engagierten Gemeindegliedern einer Kirchengemeinde gehören.

Wie ist es mit der sozialen Gerechtigkeit in Zeiten der Zuwanderung?
Dieses Thema wird immer wichtiger: Es kommen derzeit viele Menschen nach Deutschland, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Es darf nicht passieren, dass die Schwachen gegen die Schwachen ausgespielt werden. Wir müssen jetzt in Sozialwohnungen, in Kindertagesstätten und Lehrer investieren, so dass allen Bedürftigen, die hierzulande leben, gleichermaßen geholfen werden kann.

Lassen Sie uns das Thema wechseln. Aktuell ist von steigenden Kirchenaustrittszahlen die Rede. Wie gehen Sie damit um?
Man wird nicht der Illusion anhängen können, dass es einen Master-Plan gibt, dessen Umsetzung dann zu neuer Begeisterung für den Glauben führt. Deswegen glaube ich, dass man einerseits gut planen muss: Wie kann man bei zurückgehenden Mitgliedschaftszahlen die Kirche so organisieren, dass sie in der Fläche weiterhin breit vertreten ist, und gleichzeitig durch Kooperation ihre Stärke sammelt? Andererseits aber, und das ist wichtiger, müssen wir die Begeisterung für den Glauben wieder stärken. Und das ist nichts, was eine Synode oder ein Rat der EKD einfach so anordnen kann. Das ist eine Sache aller Kirchenmitglieder. Das ist eine Sache des Priestertums aller Gläubigen.

Wie soll das gehen?
Wir Christinnen und Christen können alle miteinander im Alltag deutlicher machen, wovon wir leben. Die Menschen auf der Straße sollten merken, dass sich Menschen für andere Menschen engagieren, weil sie glauben. Das Engagement für Flüchtlinge ist ein gutes Beispiel dafür. Und dann sollen wir auch deutlicher machen, welche Bedeutung das Gebet für unser Leben hat. Zum Beispiel durch Tischgebete, durch Gebete beim Aufstehen oder Schlafengehen oder auch einfach so, im Alltag.

Was sagen Sie einem, der sagt, ich bin Christ, aber ich weiß nicht recht, wie ich beten soll?
Da sage ich zuallererst: Du hast doch das Vaterunser. Das ist doch etwas Wunderschönes, das Jesus selbst uns ein Gebet mit auf den Weg gegeben hat, das wir eigentlich immer beten können, selbst wenn wir keine eigene Sprache mehr für das finden, was uns bedrückt. Dann sage ich: Schau ins Buch der Psalmen. Das ist so ein wunderbares Buch der Bibel, weil es alle Gefühle, die ganze Not des Menschen und das ganze Glück des Menschen, also alle Gefühle, die wir haben, vom größten Lob bis zur tiefsten Trauer, aufnimmt und uns eine Sprache dafür gibt, um das vor Gott zu bringen.

2017 steht das 500. Reformationsjubiläum an. Vielerorts wird darauf hingearbeitet. Ihre Amtszeit als Ratsvorsitzender reicht aber darüber hinaus. Wie soll es nach 2017 weitergehen?
Ich wünsche mir, dass wir als Christen stärker für unseren Glauben einstehen. Dass wir aus der geistlichen Kraft des Glaubens heraus öffentlich Orientierung geben. Und ich wünsche mir, dass man das in der Öffentlichkeit auch spürt.