Artikel teilen

Früherer Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wird 80

Nach dem Ende der DDR begann seine politische Karriere: Schon 1990 saß er erstmals für die SPD im Bundestag, acht Jahre später wurde Wolfgang Thierse zu dessen Präsidenten gewählt. Am Sonntag wird er 80 Jahre alt.

Seit rund zehn Jahren gehört er dem Bundestag nicht mehr an, inzwischen ist er auch kein Sprecher des Arbeitskreises “Christen in der SPD” mehr und auch nicht mehr im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) aktiv. Aber lautstark ist er immer noch. Wolfgang Thierse mischt sich nach wie vor in gesellschaftspolitische Diskussion, ob es um das das Kreuz am Berliner Stadtschloss geht, um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine – oder um das Gendern. Und seine Meinung ist auch zu vielen tagespolitischen Debatten gefragt. Am Sonntag feiert er seinen 80. Geburtstag.

Dabei wurde Thierse erst spät parteipolitisch aktiv: 1943 in Breslau geboren, siedelte sich seine Familie nach der Vertreibung im thüringischen Eichsfeld an. Dass die Region als eine der wenigen auf dem Gebiet der DDR katholisch geprägt ist, muss seinem Vater sehr entgegengekommen sein. Er war Mitglied der katholischen Zentrumspartei, später CDU-Kreistagsabgeordneter.

Der Sohn machte zunächst eine akademische Karriere. Nach dem Abitur studierte er Germanistik und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach erworbenem Diplom war er zunächst wissenschaftlicher Assistent an der Sektion Kulturwissenschaften der Ost-Berliner Universität, bevor er in das Ministerium für Kultur der DDR wechselte.

Seine Laufbahn dort endete 1975, als er sich weigerte, eine Erklärung zu unterzeichnen, die die Ausbürgerung des Liedermachers und Regimekritikers Wolf Biermann unterstützen sollte. Thierse kehrte in die Wissenschaft zurück und kam am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR unter. Dort wirkte er unter anderem an Drehbüchern für sieben Dokumentarfilme mit.

Politisch engagierte sich Thierse erst ab der Wende von 1989. “Demokratie gelernt” hat er nach eigenem Bekunden aber bereits in den Diskussionen in katholischen Jugendgruppen. Nach dem Ende des SED-Regimes trat er der Bürgerbewegung Neues Forum bei und wurde schließlich Anfang 1990 Mitglied der SPD. Bereits im September desselben Jahres wurde er auf dem Vereinigungsparteitag von West- und Ost-Partei stellvertretender Vorsitzender.

Ebenfalls 1990 kam Thierse in den ersten gesamtdeutschen Bundestag. Höhepunkt seiner politischen Karriere war seine Wahl zum Bundestagspräsidenten acht Jahre später. In diesem Amt wurde er 2002 bestätigt.

In seine Amtszeit fiel unter anderem die Entscheidung zum Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin-Mitte, für das er sich vehement einsetzte. Er lehnte es ab, die Widmung des Denkmals auf andere Opfergruppen auszuweiten. Das Mahnmal bezeichnete er als Zeichen für künftige Generationen, sich der Vergangenheit zu stellen und Lehren aus ihr zu ziehen.

Schon früh stellte er sich gegen den Rechtsextremismus. Er beteiligte sich an Sitzblockaden, um NPD-Anhänger am Demonstrieren zu hindern. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte Thierse zugleich, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus seien kein ostdeutsches Phänomen. Sie hätten aber in Ostdeutschland “ein brutaleres Gesicht”. Es müsse jedoch unterschieden werden zwischen den rechtsextremistischen Ideologen und Gewalttätern einerseits und den Bürgern, die enttäuscht und vielleicht auch wütend seien über Migrations-, und Sozialpolitik.

Thierse wirbt immer wieder für eine ehrlichere Kommunikation der Politik und mit Blick auf die Bekämpfung der Klimakrise für eine gerechtere Verteilung der Energiekosten.

Als ZdK-Mitglied trat er immer wieder dafür ein, dass die Kirchen sich klar gegen die AfD positionieren. Mit christlichen Grundüberzeugungen und Werten lasse sich das, was die Partei ausmache, nicht vereinbaren, betonte Thierse mehr als einmal.

Als Ostdeutscher, Sozialdemokrat und Katholik hat er sich selbst als eine “kurios kostbare Mischung” bezeichnet. Es gebe immer noch viele, die ihn für einen Pastor hielten. Ein Mahner bleibt er vermutlich auch in Zukunft.