München. Dieser Gedanke bestimmt sein Leben, seit Johannes Kneifel vor ein paar Jahren seinen ersten Kindergottesdienst halten durfte. Die Eltern hatten ihm ihre Kinder anvertraut. Ihm, er einst als Totschläger jahrelang im Gefängnis saß.
Aufgewachsen ist Johannes Kneifel im niedersächsischen Celle. Seine Eltern konnten ihm nicht den Halt geben, den er gebraucht hätte. Seine Mutter hatte Multiple Sklerose; er nannte sie „Krüppel“. Sein Vater war fast blind; in ihm sah Kneifel einen Versager. Wegen Verhaltensaufälligkeiten kam Kneifel für zwei Monate in die Jugendpsychiatrie. In der Pubertät fand er in der Neonazi-Szene die Freunde und Vorbilder, die ihn prägten.
Und Johannes Kneifel lernte Gewalt. Einstecken und austeilen. Dazu kam der Alkohol. Dennoch konnte er in der Schule – inzwischen auf einem Internat in Elze bei Hildesheim – gut mithalten. Die Wochenenden aber waren von Exzessen geprägt, von Gewalt und Alkohol. Die rechtsradikale Szene wurde zu seinem Zuhause. „Gewalt gilt in der Szene als normal, um Dinge zu verändern“, erinnert sich Kneifel, „ich dachte damals, es gibt kein gewaltfreies Leben.“
Sein Opfer stirbt im Krankenhaus
Im August 1999 entlädt sich sein Hass auf andersdenkende Menschen auf schreckliche Art. Mit einem Kumpel fährt der damals 17-Jährige zu einem „Hippie“, einem ortsbekannten Nazi-Gegner. Sie schlagen den 44-Jährigen in seiner Wohnung in Eschede zusammen, treten auf den am Boden Liegenden ein. „Er hat unserem Feindbild entsprochen.“ Der Mann stirbt einen Tag später im Krankenhaus. Kneifel wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu fünf Jahren Jugendhaft verurteilt.
Auch in der Jugendhaftanstalt Hameln-Tündern stößt Kneifel wieder auf eine von Gewalt geprägte Gesellschaft. „In der Jugend hatte ich nur die Wahl, Opfer zu sein oder mich zu wehren und damit gewalttätig zu werden“, sagt Kneifel heute. Hinter Gittern lernt er jedoch auch neue Freunde kennen: Ausländer, mit denen er zuvor als „Nationalist und Patriot“, als den er sich sah, kein Wort gewechselt hätte. „Das waren eigentlich die Ersten, die mir eine Chance gegeben haben.“ In den Augen der Wärter bleibt Kneifel jedoch der Neo-Nazi, abgestempelt als „schlechter Mensch“.
Im Knast traf er auch mit Christen zusammen, die sich ehrenamtlich um die Häftlinge kümmern: „Die kannten meine Tat und meine Schuld. Aber die sahen mich trotzdem als Mensch, dem Gott seine Schuld vergibt.“ Sie zeigten Johannes Kneifel einen Weg zu einem neuen „normalen“ Leben. Nicht zuletzt Anstaltspfarrer Dieter Kulks half ihm dabei. Bis heute hat Kneifel Kontakt mit ihm. „Er ist den Menschen sehr zugewandt und setzt sich für die Rechte der Gefangenen ein“, berichtet Kneifel über den „wichtigsten Ansprechpartner“.
Sein Wunsch: Pastor in einer Gemeinde
Nach der Haft sucht Kneifel Kontakt zu einer Baptistengemeinde. Er beginnt in Elstal bei Berlin ein Theologiestudium. Er lernt eine junge Frau kennen, zieht mit ihr in ihre Heimat bei Zwickau und heiratet. Eine freikirchliche Gemeinde beschäftigt ihn als Prediger. Doch auch das ist schon wieder Vergangenheit. Heute lebt Johannes Kneifel wieder allein, in Bayern. Immer noch wird er gebeten, über seine Lebensgeschichte zu berichten. Er spricht vor allem bei Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus.
„Für mich bräuchte ich das nicht mehr“, sagt Kneifel. Er habe seine Vergangenheit hinter sich gelassen, lebe in der Gegenwart und schaue in die Zukunft. „Aber ich werde oft eingeladen, weil ich eben keine 08/15-Biographie habe“, weiß der Theologe. Dabei bekommt er oft zu spüren, dass ihm sein Wandel nicht so recht geglaubt wird. Daran hat auch seine vor ein paar Jahren veröffentlichte Biographie nicht viel geändert.
Wichtiger aber seien ihm die Predigtaufträge, die er von Gemeinden verschiedenster Konfessionen und bundesweit erhalte, sagt Kneifel. Doch noch hat sich sein größter Wunsch nicht erfüllt: Er würde gern als Pastor eine Gemeinde dauerhaft betreuen. „Ich spüre in den Gemeinden Ängste“, sagt Kneifel, „Ängste, dass ich mich klar positioniere und sie dann Ärger mit der regionalen Neonazi-Szene bekommen könnten.“ Dabei habe er große Lust auf Gemeindearbeit und darauf, „auch Menschen zu erreichen, die das Evangelium nicht kennen“.
Tochter des Opfers will keinen Kontakt
In den Hintergrund gerückt ist dagegen ein anderer Wunsch, sagt der inzwischen 34-jährige Kneifel: Die Kontaktaufnahme mit der Tochter seines Opfers verfolgt er nicht mehr aktiv. Die junge Frau habe bisher den Kontakt mit ihm abgelehnt. „Ich bin nach wie vor zu einem Gespräch mit ihr bereit“, sagt Kneifel, „doch das ist ihre Entscheidung. Sie weiß, wie sie mich erreichen kann.“
Sein neues Leben als Christ sei vor allem geprägt von der Freiheit zu entscheiden, gewaltfrei leben zu können. In seinem neuen Leben seien drei Worte sehr stark geworden, sagt Johannes Kneifel: Glaube, Liebe und Hoffnung. Und: „Ich habe nicht nur Gutes erlebt, aber ich weiß, dass ich Gutes erwarten darf.“