Von Veit Hoffmann
Abendspaziergang in Berlin. Die Straßenlaternen tauchen die Bürgersteige in einen seltsam tröstlichen Schein. Über drei Millionen Herzen pochen dicht an dicht in dieser Stadt. Mit Sicherheit schmerzen viele von ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen: Alter, Krankheit, Einsamkeit, Trennung, Trauer, Depressionen oder Sucht. Wenn die Fahrt auf dem Lebensfluss in einem dümpelnden Seitenarm angelangt ist und scheinbar kein Ausweg in Sicht ist, erscheint vielen der Freitod als letzte Lösung.
Der berühmte, alleinstehende katholische Theologe Hans Küng (85), der an Parkinson leidet, hat jüngst in einem Interview angekündigt, möglicherweise aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Diese Entscheidung möchte er eigenständig treffen. Auch die Frau des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, Anne, hat sich für aktive Sterbehilfe ausgesprochen. Sie ist an Brustkrebs erkrankt. Ihr Mann würde sie begleiten, aus Liebe, nicht aus Überzeugung. Dieses Versprechen hat er ihr nicht nur privat gegeben sondern vor einem Millionenpublikum in zwei Interviews.
Eine Forsa-Umfrage ergab, dass 70 % der Befragten es ebenso tun wollen wie Anne Schneider oder Hans Küng. Sie möchten die Möglichkeit haben, auf ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung zurückzugreifen, wie die Krankenkasse DAK-Gesundheit in Hamburg mitteilte. Doch aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Die Interviews der Schneiders entfachen die Debatte über Sterbehilfe neu und beflügeln die Befürworter einer Liberalisierung der Sterbehilfe.
Die Position der großen Kirchenist klar und deutlich: 2003 erklärten sie gemeinsam: “Aktive Sterbehilfe ist und bleibt eine ethisch nicht vertretbare, gezielte Tötung eines Menschen in seiner letzten Lebensphase, auch wenn sie auf seinen ausdrücklichen, verzweifelten Wunsch hin erfolgt.”?Und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erklärte im November 2012: “Aus christlicher Perspektive ist die Selbsttötung eines Menschen grundsätzlich abzulehnen, weil das Leben als eine Gabe verstanden wird, über die wir nicht eigenmächtig verfügen sollen.” Allerdings könnten Menschen in einer extremen Not- und Ausnahmesituation zu einer anderen Entscheidung kommen. Ein moralisches Urteil darüber stehe niemandem zu.?
Die Angst vor Schmerzen und Hilflosigkeit kann ich gut verstehen. Niemand weiß, wie er sterben wird. Ob schmerzfrei oder qualvoll. Das ist vielen ein unerträglicher Zustand. Ebenso die Angst davor, anderen als Pflegefall zur Last zu fallen. Doch ich wünschte mir eine Gesellschaft, in der die aktive Sterbehilfe nicht die Antwort auf Leiden ist, sondern eine liebevolle menschliche Begleitung. Ich weiß als Pfarrer genau, dass die Vereinsamung alter und kranker Menschen ein menschenwürdiges Sterben gefährdet. Deshalb ist die Zuwendung im Sterben eine ebenso wichtige und zentrale Aufgabe wie die Heilung von Krankheiten. Die Hospitzbewegung zeigt vorbildhaft, wie das geht. Eine aktive Sterbehilfe als Dienstleistung lehne ich ab.