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Feel the spirit

In der Langen Nacht der offenen Kirchen zu Pfingsten machen viele ihre Türen weit auf

Der Atem Jesu, der den Jüngern wieder Mut macht, will auch heute die Gemeinden mit neuem Leben ­erfüllen. Damit sie eine offene Kirche werden, die nicht zurückschaut, sondern ihren Blick in die Zukunft und auf neue Formen und Angebote richtet.

Von Hansjörg Günther

„Everytime I feel the spirit“ – Der Gospelsong des amerikanischen ­­Jazz-Musikers Nat King Cole fährt in die Beine, da kann man nicht sitzen bleiben, da muss man einfach tanzen. Everytime I feel the spirit – Gottes Geist bewegt und drängt. Er macht lebendig. Und wenn du Nat King Cole hörst, dann spürst du das auch. Wen der Heilige Geist ergreift, der kann nicht anders, der muss hinaus, singen, tanzen, leben … Everytime I feel the spirit.

Viel von dieser Begeisterung war auch auf dem Katholikentag in Stuttgart zu spüren: in Begegnungen, in Musik und Gespräch. Bei ­allen – auch schwierigen – Themen war deutlich zu spüren: Der Geist verbindet und eint. Es war ein sehr ökumenischer Katholikentag!

Als Christen glauben wir, dass Gottes Geist die schöpferische Macht allen Lebens ist. Als Gottes Vitalität ist er in der Schöpfung anwesend. Er ist aber auch in der Geschichte der Menschheit am Werk sowie im Leben des einzelnen Menschen. 

„Feel the spirit“ – wo Gottes Geist Raum gegeben wird, beginnt eine neue Zeit. Da wird Gottes Herrschaft und Reich offenbar, der „Neue Bund“, der nicht nur ein Volk, Israel, betrifft, sondern die Menschen der ganzen Welt. Menschen verstehen sich und finden zur Einheit. Sie fassen Mut. Auch wenn es damals, beim ersten österlichen Pfingstereignis, zunächst ganz anders war. Das Johannesevangelium berichtet, wie sich die Jünger aus Furcht hinter verschlossenen Türen versammeln (Johannes 20, 19–23). Niemand kann zu ­ihnen hinein. Sie haben keine Zukunfts­perspektive mehr. Nichts von „Everytime I feel the spirit“. Das genaue Gegenteil. Jesus hatte sie verlassen. Sie fühlen sich einsam und allein. Resigniert starren sie auf das, was hinter ihnen liegt. Eine lähmende Atmosphäre! 

Doch plötzlich tritt der Auferstandene in ihre Mitte, sagt zu ­ihnen: Friede sei mit euch und zeigt ihnen seine Wundmale. Dann geschieht etwas sehr Sanftes: Er haucht sie an und sagt: Empfangt den Heiligen Geist. Atem, das ist Leben; ohne Atem können wir nicht leben. In den geschlossenen Kreis kommt plötzlich Leben. Die Jünger fassen neuen Mut, wagen wieder, in die Zukunft zu blicken. Ja, sie öffnen sich. 

Geschlossene Gruppen und Grüppchen: So etwas kann es auch in einer Gemeinde geben. Man ist nur mit sich selbst beschäftigt, wärmt alte Erlebnisse auf, lässt neue Ideen nicht zu, weil man ja schon alles ausprobiert hat. Oder man trauert einem längt vergangenen Bild von kirchlichem Leben nach. Ja, früher war es schön! Was möchte der Geist uns aber heute lehren? Worauf, auf wen sollen wir zugehen, weil er oder sie auf der Suche ist oder Hilfe braucht?

Viele Christen sind heute enttäuscht von der Kirche. Sie sei eine müde, eine resignierende Kirche, die den Menschen keine Hoffnung mehr zu bieten habe. Auf dem Katholikentag war auch diese Stimmung spürbar. Es war aber auch das geistvolle gemeinsame Ringen um die Zukunft der Kirchen in unserer Gesellschaft erlebbar. Diese synodale Haltung ist selbst schon geistgewirkt!

Gottes Geist wirkt nicht automatisch. Er wirkt, wenn wir uns ihm öffnen, wenn wir auf ihn hören, wenn wir ihm Raum schaffen. Der Atem Jesu, der den Jüngern wieder Mut gemacht hat, er will auch uns heute reanimieren und mit neuem Leben erfüllen. Dadurch werden wir eine offene Kirche, die nicht zurückschaut, sondern ihren Blick in die Zukunft richtet. Jetzt, da wir so langsam aus der vergangenen Corona-Depression herauskommen, stellen wir fest, dass wir nicht mehr nahtlos an die Zeiten vor Corona anknüpfen können. Menschen haben sich auch in ihrem Verhältnis zu ihren Gemeinden verändert. Es braucht einen langen Atem, unsere Gemeinschaft mit Leben zu erfüllen. Vielleicht auch mutig mit neuen Formen und ­Angeboten.

An diesem Pfingstsonntag werden wir wieder unsere Kirchentüren zur „Nacht der offenen Kirchen“ weit aufmachen. Vielleicht gibt es in Ihrer Nähe ein solches Angebot. Eine offene Kirche, die einlädt zu Stille oder Begegnung, zu Musik und Gebet. Übrigens: Nicht nur Nat King Cole hat vor Jahrzehnten den Geist gespürt und besungen, „feel the spirit“ rief auch neulich der amerikanische Sänger einer Brass-Band in Berlin der begeisterten Menge zu. Kein religiöses Fest, ein einfaches Berliner Straßenfest. Der Geist, er weht, wo er will.

Mehr zur Nacht der offenen Kirchen: www.offenekirchen-bb.de

Monsignore Hansjörg Günther ist Vorsitzender des Ökumenischen Rates  Berlin-Brandenburg,