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Expertin: Europäische Trauma-Therapie für Flüchtlinge unpassend

Für traumatisierte Flüchtlinge ist nach Einschätzung von Psychotherapeutin Sieglinde Eva Tömmel ein neuer Therapieansatz nötig. “Die Traumatisierungen von vielen Migranten sind so schwer, dass wir die Behandlungsstandards in Deutschland verändern müssen”, sagte Tömmel am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. “Flüchtlinge haben oft alles verloren, was für sie Bedeutung hatte. Traumatisierungen dieses Ausmaßes gibt es bei uns in der Regel nicht.”

Psychotherapie für Flüchtlinge ist Thema bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie, die von Freitag bis Sonntag in Weimar stattfindet.

Tömmel forderte, den interkulturellen Aspekt in die Ausbildung von Psychotherapeuten zu integrieren. “Das gibt es bisher nicht”, sagte sie. “Je besser unsere Psychotherapien greifen, desto eher gelingt es den Zugewanderten, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Wer traumatisiert ist, kann zunächst nicht denken und nicht lernen – Voraussetzungen für eine Integration.” Zudem hätten viele traumatisierte Flüchtlinge durch die Erfahrung von Folter, Gewalt und Krieg auch eine andere Einstellung zu Gewalt, warnte sie.

Die Expertin betonte weiter, dass sich die Psychotherapie hierzulande sehr an der europäischen Kultur orientiere. Dies sei nicht ohne weiteres auf Flüchtlinge etwa aus Afghanistan übertragbar. So liefen Sitzungen etwa sehr emotionaler ab: “Es kommt oft zu extremen Gefühlsausbrüchen wie lautem Weinen und Schreien”, so Tömmel. “Damit muss man umgehen können.” Die Psychoanalytikerin behandelt seit der ersten Flüchtlingswelle 2015/16 afghanische Geflüchtete in der Nähe von München psychotherapeutisch.

Therapeutinnen und Therapeuten sollten sich mit der Kultur des jeweiligen Herkunftslandes beschäftigen, forderte Tömmel. “Sonst wird kaum verständlich, was die Klientinnen und Klienten sagen oder wie sie sich verhalten”. Als Beispiel führte sie etwa das Liegen auf einer Coach an, was gerade für männliche Flüchtlinge aus muslimischen Ländern nicht infrage komme. “Islamische Männer legen sich im Therapieraum von weiblichen Therapeutinnen nicht auf die Couch, weil das für sie Unterwerfung bedeutet”, so Tömmel.