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Europa in der Pflicht

Es könnte ein simpler PR-Gag sein, aber dazu ist die Sache zu teuer – und zu ernst. Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ will keine Gelder mehr von Staaten der Europäischen Union (EU) annehmen. Ihr entgehen so mindestens 50 Millionen Euro Fördergelder.
Mit ihrer Entscheidung setzt die Organisation  ein Zeichen für uns alle: Denn wo sonst wird noch ernsthaft die unmenschliche Haltung der europäischen Staaten gegenüber den Flüchtlingen angeprangert? Gegenüber Menschen, die aus blanker Not fliehen – aus Syrien, dem Irak, aus der Türkei oder aus den afrikanischen Staaten wie Jemen, Somalia, Äthiopien, von den so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ ganz zu schweigen.
In der Debatte geht es schon lange nicht mehr darum, was mit diesen Menschen tatsächlich geschieht. Ihr Schicksal interessiert die Politik nicht. Ein Deal wie der mit der Türkei, der die Flüchtlinge von Europa fernhalten soll, erscheint nicht nur „Ärzte ohne Grenzen“ zynisch und menschenverachtend.

Was Europa für die Bekämpfung des Terrorismus verschwendet, ist ein Zigfaches dessen, was es zur Überwindung von Gewalt und Unrecht in den Herkunftsländern der Flüchtlinge einbringt. Politische Einflussnahme und Überzeugung, der Schutz und die Unterstützung derjenigen, die nach Demokratie, Frauenrechten und Schutz der Lebensgrundlagen in ihren Ländern kämpfen – wo finden sie wirklich ernsthaft statt?
Sicher ist das auch teuer, aber es kostet alles nur einen Bruchteil des gesamten Deals, der uns die Flüchtlinge von Hals halten soll. Man kann es auch anders ausdrücken: Wir treten die Rechte der Menschen in den Ländern des globalen Südens mit Füßen und beschweren uns dann, wenn sie ihre international verbrieften Rechte wahrnehmen und sich zu mehr Recht und Sicherheit auf den Weg machen.
Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ hat ein Zeichen gesetzt. Nicht nur durch unermüdliche Hilfe und Rettung der Verzweifelten und Entrechteten, der Ertrinkenden und Verletzten. Sie sagt uns mit ihrer Ablehnung der Fördergelder auch: Ändert euer Verhalten, und das Leben wird für alle erträglicher.
Das habe ich auch aus dem Mund Jesu im Ohr: Tut Buße – und ihr werdet leben! So einfach ist das – und doch so vielschichtig, und vor allem: vielversprechend. Darum, Ärzte ohne Grenzen: Glückwunsch!

Unser Gastkommentator Martin Domke ist Leiter des „Eine Welt Zentrums“ in Herne.