Das Jahr 1945 war auch in Mecklenburg verbunden mit Flüchtlings- und Vertriebenenströmen, Hunger, Verzweiflung. Welche Auswirkungen das auf die katholische Kirche in Mecklenburg hatte, darüber sprach der Evangelische Pressedienst (epd) mit Georg Diederich. Der 75-Jährige hatte von 1996 bis 2015 das katholische Heinrich-Theissing-Institut für Kirchen- und Zeitgeschichte in Schwerin geleitet.
epd: Welche Auswirkungen hatte der Zweite Weltkrieg auf die katholische Kirche in Mecklenburg?
Georg Diederich: Zunächst einmal stieg die Zahl der Katholiken stark an. Es kamen schon vor 1945 viele katholische Christen hierher, aus zerbombten Städten im Rheinland zum Beispiel. 1938 gab es in Mecklenburg 32.000 Katholiken, 1946 dann etwa 210.000. Damals entstanden viele neue Gemeinden. Da katholische Gottesdiensträume knapp waren, konnten in Absprache mit der evangelischen Kirche schon in den letzten Monaten vor Kriegsende katholische Gottesdienste in evangelischen Kirchen stattfinden, so zum Beispiel in Tempzin bei Brüel.
Nach 1945 bauten katholische Vertriebene selbst Kirchen in Mecklenburg, zunächst eingerichtet in leerstehenden Baracken des Arbeitsdienstes, und später bauten sie auch ganz neue Kirchen, oft aus Holz, wie es eben möglich war.
epd: Wie verhielten sich die katholischen Mecklenburger denn gegenüber den vielen Flüchtlingen?
Diederich: Das was sehr unterschiedlich. Meist war die Situation für die Vertriebenen nicht besonders aufnahmefreundlich, egal, ob evangelisch oder katholisch. Die einheimische Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern war damals mit 1,1 Millionen Menschen plötzlich in der Minderheit gegenüber 1,4 Millionen Zugewanderten. Das führte natürlich zu großen Spannungen. Der Zustrom der vielen, vielen Leute, die da ohne Mittel und völlig traumatisiert ins Land kamen, brachte 1945 einfach eine große Überforderung mit sich.
Aber es gab auch katholische Christen, die versuchten, Flüchtlinge privat unterzubringen, um so der Not gegenzusteuern. Meine Großmutter, die ein Haus in der Schweriner Innenstadt hatte, nahm beispielsweise zwei Flüchtlingsfamilien auf.
epd: Wie entwickelte sich in den katholischen Gemeinden das Verhältnis zwischen Einheimischen und Flüchtlingen/Vertriebenen?
Diederich: Im Laufe der nächsten Jahre, als dann gemeinsam Gottesdienste gefeiert wurden und die Kinder zusammen zum Religionsunterricht gingen, entspannte sich das Verhältnis immer mehr. Die Vertriebenen hatten ja auch ihr Brauchtum mitgebracht, wie etwa die Wallfahrten. Über zehn Jahre hat es wohl gedauert, bis katholische Wallfahrten von allen akzeptiert waren.
epd: Wenn Sie heute auf diese Jahre zurückblicken, was ist dann entscheidend für uns?
Diederich: Entscheidend ist, wie hilfsbereit ich anderen gegenüber bin, wie ich mich von der Not der anderen zum Handeln motivieren lasse – und ob ich bereit bin, meinen Lebens- und Denkhorizont durch andere erweitern zu lassen.
Ansonsten muss eine Überforderung auch als solche erkannt werden. Und es müssen rechtzeitig Mittel und Wege gefunden werden, um Hilfe zu leisten. Ohne die vielen Spenden aus der Schweiz, aus den USA und anderen Ländern, die damals auch über die kirchlichen Hilfswerke verteilt wurden, hätten viele dieser Flüchtlinge nicht überleben können.
epd: Was können evangelische und katholische Christen aus der damaligen Zeit lernen?
Diederich: Jede Generation muss das ökumenische Band neu knüpfen. Unsere Zeit ist geprägt durch den Schwund des Glaubens. Auch heute ist entscheidend, dass christliches Leben in den Familien erhalten und gepflegt wird.
epd: Sie werden demnächst in Kühlungsborn, Ludwigslust, Waren (Müritz) und Neustrelitz einen Vortrag halten zum Jahr 1945, zu Zusammenbruch und Neubeginn, und zum Entstehen einer Kirche der Vertriebenen in Mecklenburg. Was hat Sie bei der Vorbereitung dieses Vortrages besonders bewegt?