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Einsamkeitsbelastung über Vor-Corona-Niveau

Nach einem starken Anstieg während der Corona-Pandemie gehen die Einsamkeitsgefühle in der Bevölkerung wieder zurück. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) stellte am Donnerstag in Berlin eine erste Langzeitanalyse zum Einsamkeitserleben vor. Demnach liegen die Werte noch deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau. Die Bundesregierung und auch die nordrhein-westfälische Landesregierung wollen mehr unternehmen, um Einsamkeit und die negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen zu bekämpfen.

Der Datenauswertung zufolge stiegen die Einsamkeitsbelastungen bei der Gesamtbevölkerung von 7,6 Prozent im Jahr 2017 auf 28,2 Prozent im ersten Pandemie-Jahr 2020. 2021 gingen sie auf 11,3 Prozent zurück, lagen damit aber weiter über den Werten vor der Pandemie. Während im Langzeitschnitt ältere Menschen am häufigsten unter Einsamkeit leiden, gaben 2020 fast 32 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an, unter Einsamkeit gelitten zu haben. Bei den über 75-Jährigen waren es knapp 23 Prozent.

In Nordrhein-Westfalen lag die Belastung in der Bevölkerung laut „Einsamkeitsbarometer“ 2017 mit 7,2 Prozent leicht unter dem Bundesschnitt, im Corona-Jahr 2021 mit 13,7 Prozent hingegen deutlich darüber.

Familienministerin Paus warnte: „Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor sozialem Long Covid“. Die Bundesregierung hat Ende 2023 einen gemeinsamen Plan beschlossen, der alle Ressorts in Maßnahmen gegen Einsamkeit einbinden soll. Im eigenen Etat stehen Paus noch bis Ende 2025 insgesamt 70 Millionen Euro zur Verfügung.

Paus sagte, Einsamkeit sei ein drängendes Problem mit gesundheitlichen und sozialen Folgen und schade der Gesellschaft. Einsame Menschen nähmen beispielsweise seltener an Wahlen teil. Das Einsamkeitsbarometer zeigt, dass sie ein geringeres Interesse an Politik haben und ein um 8 bis 13 Prozent geringeres Vertrauen in Institutionen wie den Bundestag, die Parteien oder das Rechtssystem.

Risikogruppen für Einsamkeit sind den Angaben zufolge Menschen mit hohen Belastungen und wenig Unterstützung: pflegende Angehörige oder Alleinerziehende, Arbeitslose, Arme und sozial benachteiligte Menschen. Seit Corona gehören mehr junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder dazu. Die Folgen von Einsamkeit für die Gesundheit sind erheblich. Die Weltgesundheitsorganisation vergleicht sie mit den Folgen des Rauchens, der Fettleibigkeit oder von Luftverschmutzung.

Sozialverbände betonten vor allem den Zusammenhang von Einsamkeit und Armut. „Menschen mit weniger Geld werden immer mehr an den Rand der Gesellschaft verdrängt, und zwar sowohl im übertragenen wie auch im tatsächlichen Sinn“, sagte der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Michael Groß, der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Freitag). So seien günstige Wohnungen beispielsweise meist weiter außerhalb gelegen und nicht gut angebunden.

Joachim Hagelskamp vom Paritätischen Gesamtverband warnte vor weiteren Kürzungen in Landes- und Bundeshaushalten für den sozialen Bereich. „Viele Einrichtungen haben bereits geschlossen oder werden schließen müssen, weil sie nicht mehr finanziert werden oder sie keine passenden Räumlichkeiten mehr finden“, sagte er der Zeitung. So würden weitere Begegnungsstätten wegbrechen. Doch eine gute soziale Infrastruktur sei „die beste Prävention gegen Einsamkeit.“

Auch das Land NRW sieht in Einsamkeit ein Problem. Um dagegen anzugehen, hatte die schwarz-grüne Landesregierung vor einem Jahr beschlossen, ehrenamtliches Engagement zu stärken, bestehende Projekte besser zu vernetzen, die Gesellschaft stärker auf das Thema aufmerksam zu machen und Präventionsstrategien zu entwickeln. Am 6. Juni ist zudem in der Staatskanzlei eine erste Einsamkeitskonferenz geplant. Unter dem Titel „Du+Wir=Eins. Nordrhein-Westfalen gegen Einsamkeit“ wollen sich Ministerinnen und Minister mit Menschen aus Wissenschaft und Gesellschaft austauschen.

Das „Einsamkeitsbarometer“ wertet Daten aus der Langzeitstatistik des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus. Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von Privathaushalten in Deutschland. Das „Einsamkeitsbarometer“ ist Teil der im vergangenen Jahr beschlossenen Einsamkeitsstrategie der Bundesregierung, mit der sie das Thema aus der Tabuzone holen will.