BOCHUM/BERLIN – „Die Herero wurden gejagt wie wilde Tiere, in die Wüste getrieben und in Lager gesteckt, doch davon redet heute keiner mehr“, beklagt Israel Kaunatjike, ein Nachfahre von Überlebenden. Sein Volk wurde durch die „Deutsche Schutztruppe“ in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, zwischen 1904 und 1908 fast ausgerottet. Dennoch gibt es seitens der deutschen Regierung bisher keine offizielle Entschuldigung für diese Verbrechen, eine Anerkennung der Massaker als Völkermord fand ebenfalls nicht statt. Das könnte sich allerdings bald ändern.
Die Folgen der deutschen Kolonialpolitik hatten großen Einfluss auf Kaunatjikes Leben. Seine Mutter ging aus der Beziehung seiner Großmutter mit einem deutschen Siedler hervor. Er selbst ist 1947 im heutigen Namibia geboren.
Ministerin entschuldigte sich in Namibia
Mit 17 Jahren musste er aus seiner Heimat fliehen, da er sich gegen die Apartheid der Besatzungsmacht Südafrika engagiert hatte. Sechs Jahre später erhielt er politisches Asyl in Deutschland und fühlt sich daher beiden Ländern verbunden. Seit Jahren setzt er sich für die Anerkennung des Völkermords ein.
Einen ersten Schritt tat die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). 2004 entschuldigte sie sich als erste deutsche Politikerin bei einer Gedenkveranstaltung in Namibia für die Gräueltaten des deutschen Kolonialismus. Und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schreibt in einem aktuellen Beitrag für „Die Zeit“: „An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstandes ein Völkermord.“ Nach langer Weigerung hat nun auch die Bundesregierung angekündigt, die Massaker als Völkermord zu bezeichnen. Dazu sei, so hieß es vor wenigen Tagen aus dem Auswärtigen Amt, eine gemeinsame Erklärung mit Namibia geplant, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika.
Immerhin wurden dort innerhalb von drei Jahren etwa 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama getötet (siehe Artikel unten), der Rest in Konzentrationslager gesteckt oder vertrieben. Unter Wissenschaftlern ist die Bezeichnung daher weitgehend unstrittig. „Was ab 1904 in Deutsch-Südwestafrika passiert, ist im Ergebnis ein Völkermord“, sagt Medardus Brehl, Genozidforscher an der Universität Bochum. „Der Unterschied zu späteren Genoziden ist, dass es keinen lange vorbereiteten Plan gab.“ Strukturell sei der Völkermord also kein Vorbild für den Holocaust gewesen, habe aber für einen „Dammbruch“ gesorgt. „Von diesem Zeitpunkt an war klar: Ein solches Verfahren ist denkbar, politisch durchführbar und gesellschaftlich legitimierbar“, sagt Brehl.
Die Vereinten Nationen haben den Genozid an den Herero und Nama bereits 1948 als solchen anerkannt. Er verstehe nicht, warum sich die Bundesregierung damit so schwertue, sagt Kaunatjike. Brehl zufolge spielen Entschädigungsforderungen dabei nur eine untergeordnete Rolle. „Vielmehr will man mit der Anerkennung anderer Genozide den Holocaust nicht relativieren. Das ist ein erinnerungspolitisches Argument, das ich für verständlich, aber falsch halte.“
Opferverbände wollen mitreden
Die Beziehung zwischen Deutschland und Namibia ist heute durch „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ geprägt, wie es aus dem Entwicklungsministerium heißt. Das zeige sich auch an der Höhe der Entwicklungshilfe. Mit rund 18 Euro pro Bewohner sei sie 2012 die höchste in Afrika gewesen. Zudem trage die Bundesregierung über eine Versöhnungsinitiative mit 31 Millionen Euro zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Gebieten der Herero und Nama bei.
Für Kaunatjike ist das nicht genug. „Die Opferverbände wollen in den Verhandlungen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung bei entscheidenden Punkten mitreden“, fordert er. Das sei bisher vernachlässigt worden. Das Bündnis „‚Völkermord verjährt nicht“, an dem sich auch Kaunatjike beteiligt, hat jetzt einen Appell an das Bundespräsidialamt übergeben (siehe kleine Meldung unten rechts). „Wir wollen keine Unruhe stiften“, sagt Kaunatjike, „sondern Gerechtigkeit!