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Ein Stück Kirchengeschichte

Evangelische Kirchen und katholische Bistümer unterschreiben Vereinbarung: Zukünftig will man noch stärker zusammen arbeiten. Eindrücke vom „Tag für Lehrerinnen und Lehrer“

DORTMUND – Ritsch, ratsch. Der Stift kratzt über das Papier. Drei mal drei Unterschriften. Und ein kleines Stück Kirchengeschichte ist geschrieben.
Es ist ein besonderer Tag. Rund 750 Menschen sind in die Reinoldikirche gekommen. Religionslehrerinnen und -lehrer, die sich zum „Tag für Lehrerinnen und Lehrer“ in der Dortmunder Innenstadt getroffen haben. Gerade haben sie eine Andacht gefeiert, miteinander gesungen und auf ein Bibelwort gehört. Jetzt herrscht gespannte Stille. Dort vorn, am Altar der Kirche, beugen sich eine Frau und zwei Männer über Dokumente und setzen ihre Unterschriften aufs Papier. Präses Annette Kurschus für die Evangelische Kirche von Westfalen, Landessuperintendent Dietmar Arends für die Lippische Landeskirche und Erzbischof Hans-Josef Becker für das Erzbistum Paderborn der Römisch-Katholischen Kirche: Sie besiegeln schriftlich die Vereinbarung „Ökumenisch Zukunft gestalten“. Darin enthalten: Von nun an soll es an den Schulen in NRW die Möglichkeit geben, dass evangelische und katholische Kirche den Religionsunterricht veranstalten (UK berichtete).

500 Jahre Spaltung – damit soll Schluss sein

Das ist eine kleine Revolution – wenn man bedenkt, wie stark die Abgrenzung zwischen Evangelisch und Katholisch noch vor wenigen Jahren war. Jetzt, 500 Jahre nach der Aufspaltung der Kirchen, soll damit Schluss sein. Das Reformationsjubiläum stand ohnehin im Zeichen des Aufeinanderzugehens. Heute, an einem Freitag Ende September, wird mit dem Unterzeichnen der Vereinbarung ein vorläufiger Höhepunkt in der Ökumene gesetzt. Entsprechende Vereinbarungen gab es zuvor bereits mit den katholischen Bistümern Essen und Münster. Heute geschieht dies im Angesicht hunderter Lehrerinnen und Lehrer.
Und die haben es nicht leicht. Die Situation im Religionsunterricht ist, je nach Gegend, völlig unterschiedlich. Eine der Lehrerinnen, die in St. Reinoldi auf einer der Kirchenbänke sitzt, gibt einen kleinen Einblick: „Ich habe in der Dortmunder Nordstadt unterrichtet. Da treffen viele Kulturen und Religionen aufeinander.“ Vor allem die christlichen Schülerinnen und Schüler hätten kaum noch einen blassen Schimmer von ihrer eigenen religiösen Herkunft. Was früher ganz selbstverständlich im Elternhaus vermittelt wurde – „heute sollen wir das übernehmen“, sagt die Lehrerin, „und wir müssen meist bei Null anfangen“.
Dabei geht es nicht allein um das Vermitteln von Wissen. „Das ist wie beim Schwimmen“, erklärt Rainer Timmer. Der Pfarrer ist Leiter des Pädagogischen Instituts der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), das den „Tag für Lehrerinnen und Lehrer“ ausrichtet. „Du kannst am Beckenrand stehen und alle Theorie über Technik und die Beschaffenheit von Wasser vermitteln.“ Aber davon, so Timmer, bekomme man noch lange keine Ahnung davon, wie Schwimmen wirklich ist.
„Religionsunterricht ist keine neutrale Religionskunde“, erklärt auch Präses Annette Kurschus, die leitende Theologin der EKvW. „Es geht um authentische Auskunft von Menschen, die diesen Glauben auch selbst leben.“
Das ist ein hoher Anspruch. Dazu braucht es Befähigung und Begleitung. Zum Beispiel in Form eines solchen „Tags für Lehrerinnen und Lehrer“. In Vorträgen, Seminaren und beim Erfahrungsaustausch sollen die Lehrkräfte unterstützt und aufgebaut werden. Die Stimmung in der Reinoldikirche und an anderen Veranstaltungsorten rund um die Kirche ist gut, der Tag ein voller Erfolg.
„Der gemeinsame Religionsunterricht ist angesichts der Herausforderungen, die sich beiden Kirchen stellen, der richtige Weg“, ist Rainer Timmer überzeugt. „Aber wir müssen da noch ein ganz dickes Brett bohren.“ 50 Moderatoren-Paare werden derzeit ausgebildet, die von den Schulen angefordert werden können. Katholische und evangelische Lehrkraft werden sich beim Unterricht abwechseln. Dazu braucht es gemeinsame Planung und Absprachen.
„Die Kirche braucht den Religionsunterricht“, so Timmer, „und unsere Gesellschaft auch“. Von nun an können die beiden großen Kirchen diesen Weg gemeinsam gehen.