Artikel teilen:

Ein sozialpolitischer Einwurf mit Priesterkragen

Friedrich Merz hat es nicht leicht. Der Bundeskanzler ist mit großen Versprechen angetreten, das Halten dieser ist schwierig bis unmöglich. Gute Ratschläge gibt es viele – auch von den katholischen Bischöfen. Denn die Sorge vor einem weiteren Rechtsruck in Deutschland ist groß und wächst.

In der Bundespressekonferenz, dem Herzstück der Hauptstadtberichterstattung, gehen Politiker ein und aus. Dass Geistliche im Priesterkragen dort vor die berühmte blaue Leinwand treten, ist eine Seltenheit. Dass gleich zwei geweihte Würdenträger mit einem Wirtschaftsweisen sich den Fragen der Journalisten stellen, gleicht einer Rarität.

Bischof Heiner Wilmer, Weihbischof Anton Losinger und der Wirtschaftsweise Martin Werding fühlten sich in ihrer Rolle dennoch nicht unwohl. “Wir sind dabei, wir helfen mit, wir bringen uns ein”, betonte Wilmer bei der Vorstellung des Papiers “Zusammenhalt durch Reformen sichern – Impulse für einen gerechten und verlässlichen Sozialstaat”.

Wilmer ist Bischof von Hildesheim und leitet in der Deutschen Bischofskonferenz die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen. Das Papier wiederum hat der Augsburger Weihbischof Losinger, seines Zeichens promovierter Theologe und Volkswirt, federführend verantwortet. Werding, der immer wieder mahnend an die stark steigenden Sozialausgaben infolge des demografischen Wandels erinnert, war als langjähriger Berater der katholischen Bischöfe mit an Bord.

Dass die Bischöfe Impulspapiere verfassen, ist keine Seltenheit. In diesem Jahr waren es bereits fünf – überdurchschnittlich viele. Aber auch in den vergangenen Jahren gab es Vorschläge, nicht nur zu pastoralen Fragen, sondern auch zu politischen und gesellschaftlichen Debatten. 14 Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz befassen sich mit verschiedenen Themenbereichen. Diese reichen von den Schwerpunkten Glauben und Liturgie über Soziales bis hin zu Jugend oder Bildung.

2003 veröffentlichte die damalige Sozialkommission ein Papier mit dem Titel “Das Soziale neu denken – für eine langfristig angelegte Reformpolitik”. Auch darin wurde die Notwendigkeit von Sozialreformen betont, um den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht zu gefährden. Zuletzt veröffentlichte die Sozialkommission ein Papier zum Wert der Arbeit.

Das aktuelle Impulspapier soll nach Aussage der Deutschen Bischofskonferenz einen Beitrag zu einer sachlichen und ehrlichen Debatte über eine gerechte und verlässliche Ausgestaltung des Sozialstaats leisten. “Wir Bischöfe beobachten diese aufgeheizte und gereizte Diskussion mit Sorge”, hob Wilmer hervor. Es müsse um Lösungen gerungen werden. Mit Respekt, einer neuen Sprache und ohne utopische Versprechen, so Wilmers Appell. Die Bischöfe wünschen sich weniger schrille Äußerungen und unerfüllbare Wahlversprechen der Amtsträger. Das beschlossene Rentenpaket bezeichnen sie als “schwierigen Kompromiss”.

Der Sozialstaat sei eine kaum zu überschätzende Errungenschaft mit wirksamem System der Absicherung, bilanzierte Wilmer. Doch in den vergangenen Jahren sei die Generationengerechtigkeit in eine Schieflage geraten. Höhere Beiträge für Jüngere, mehr Altersarmut bei Rentnern. “Priorisierung ist nötig, finanzielle Mittel sind endlich” und “weniger Gießkanne, mehr Zielgenauigkeit”, so Losinger. Am Ende dürfe sich keine Generation als Verlierer sehen. “Wenn der Opa den Enkel nicht mag und umgekehrt, dann ist ein Drei-Generationen-System im Umlageverfahren nicht möglich.”

Alle Reformen, die neue Steuern, Beiträge oder Schulden benötigten, müssten daher kritisch geprüft werden. “Die Kirche versteht sich als Anwalt der Schwachen”, bekräftigte Losinger. Im Papier heißt es: “Jede Reform aber muss sich daran messen lassen, ob sie auch die Belange armer Menschen gerecht berücksichtigt und zur Verbesserung ihrer Lage beiträgt.” Eine zusätzliche Neuverschuldung lehnen die Bischöfe ab.

Stattdessen plädieren sie für ein höheres Renteneintrittsalter, freilich mit Ausnahmen für körperlich schwer arbeitende Menschen. Darüber hinaus fordern sie einen fairen Lastenausgleich, nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch zwischen reicheren und ärmeren Senioren durch “eine moderate Umschichtung zwischen höheren und niedrigeren gesetzlichen Renten”.

Kritisch bewerten die Bischöfe die parallele Erhöhung von Rente und Löhnen sowie eine generelle Haltelinie, also das Stabilisieren der Rente für alle. Auch eine allgemeine Erhöhung des Rentenniveaus halten sie für ungeeignet. Stattdessen sei eine Haltelinie nur für Bezieher niedriger Renten denkbar. Private Vorsorge müsste gefördert und die Beamtenversorgung reformiert werden.

Heutzutage würden Streit, Konflikt und Debatte als Politikversagen angesehen, obwohl sie zum Wesen der Demokratie gehörten, kritisierte Bischof Wilmer. Alle demokratischen Kräfte müssten den Reformdialog so führen, dass unnötige Ängste vermieden, Kompromisslinien gefunden würden und die politische Handlungsfähigkeit erhalten bliebe. Es brauche neues Vertrauen in die Politik. Und Hoffnung. Denn, so Wilmer: “Ohne Hoffnung geht unsere Demokratie kaputt.”

Die Bischöfe sind nicht die Einzigen, die an die Bundesregierung appellieren und auf das Prinzip Hoffnung setzen. Prominent hatte sich im Laufe des Jahres die Initiative für einen handlungsfähigen Staat zu Wort gemeldet. Dahinter stehen die beiden ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), die Medienmanagerin Julia Jäkel sowie der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Gemeinsam mit rund 50 Experten erarbeiteten sie 35 Reformvorschläge in sieben Bereichen, etwa zu Gesetzgebung, Sozialem und Bildung. Auch Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa war an den Vorschlägen beteiligt.

Der Initiative ging es weniger um einzelne Sachfragen, wie die Erneuerung des Rentensystems, als eher um gute Bedingungen für erfolgreiche Reformen. Denn, das eint die Ratgeber, Reformen seien bitter nötig. “Wer den Sozialstaat auf hohem Niveau erhalten will, wird seine Effektivität und Effizienz verbessern müssen”, schreiben de Maiziere und seine Mitinitiatoren in ihrem Abschlussbericht. Verbesserungen müssten bei den Bürgern rasch ankommen, andernfalls drohe weiterer oder neuer Frust.

Bei der Grundfrage des Sozialstaats plädiert die Initiative vor allem für ein Bündeln der Zuständigkeiten und auch eine Vereinheitlichung von Begriffen, wem was zusteht. Und eine zentrale digitale Dienstleistungsplattform für Regelleistungen des Sozialstaats.

Die Vorschläge der Initiative finden sich teils im Koalitionsvertrag wieder. Ob die Kirchen-Vorschläge in der Bundesregierung wahrgenommen werden, ist offen. Aus Sicht der katholischen Arbeitnehmer-Bewegungen war der Auftritt in der Bundespressekonferenz nicht ausreichend. Als bloßes Kommissionspapier sei dieser Debattenbeitrag viel zu leise, um die Position der katholischen Kirche deutlich genug zu markieren. Vielleicht braucht es weitere bischöfliche Pressekonferenzen in der Hauptstadt.