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Ein „Glücksfall“ nimmt Abschied

Zu seinem 80. Geburtstag hat Kardinal Karl Lehmann seinen Rücktritt angeboten. Papst Franziskus hat ihn angenommen. Damit verlässt ein engagierter, manchmal umbequemer, aber stets ökumenisch ausgerichteter katholischer Bischof die kirchliche Bühne

Andrea Enderlein

Er hat – „gelegen oder ungelegen“ – seine begründete Meinung gesagt, hat – „so gut es als Mensch geht“ – geradlinig und sachlich seine Arbeit gemacht: Kardinal Karl Lehmann. Das hohe Maß an Anerkennung, Respekt und Sympathie, das ihm in Kirche, Gesellschaft, Politik und Wissenschaft zuteil wird, hat er sich redlich verdient.
Am 16. Mai – Pfingstmontag – wurde Lehmann 80 Jahre alt. Es war sein „letzter Arbeitstag“ als Bischof von Mainz. Papst Franziskus  hat sein altersbedingtes Rücktrittsgesuch angenommen. Das teilte zum Ende des Geburtstagsgottesdienstes der päpstliche Nuntius Nikola Eterovic mit.

Ein „Mann des Dialogs“ tritt zurück

Dass Lehmann seine Arbeit als Bischof aufnahm, ist bald 33 Jahre her. Am 2. Oktober 1983 wurde er im Mainzer Dom zum Bischof geweiht und in sein Bischofsamt eingeführt. Mit 47 Jahren war er der damals jüngste katholische Bischof in Deutschland. Karl Lehmanns bischöflicher Wahlspruch „State in fide“ (Steht fest im Glauben) gab die Richtung seines künftigen Tuns an. Wobei für Lehmann gilt, dass die Treue zum Glauben und die Treue zu den Menschen zusammengehören und sich Glaube und Vernunft nicht ausschließen. „Der Glaube ist ein Gehorsam, der wenigstens potenziell mit der menschlichen Vernunft übereinstimmen muss“, sagte er einmal.
Grundsätze, die nicht zuletzt sein langes Wirken als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz von 1987 bis 2008 bestimmten. In dieser Zeit vor allem erwarb er sich den Ruf, in dem er bis heute steht, nämlich ein „Glücksfall für die deutschen Katholiken“ zu sein, ein „Brückenbauer“, ein „Mann des Dialogs“, ein „Mann von unerbittlicher Friedfertigkeit“. Als solcher führte Lehmann auch nach dem Fall der Mauer die Katholiken aus Ost- und Westdeutschland zusammen, trat und tritt er unermüdlich für den Schutz des Lebens ein, gibt er nach wie vor Impulse für das ökumenische Gespräch.
Lehmann steht für ein weltoffenes, lebensbejahendes Christentum, ist ein allseits gefragter und geschätzter Gesprächspartner und für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein nach ihren Worten „väterlicher Freund“.
Für Lehmanns Selbstverständnis von besonderer Bedeutung ist das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965): „Ich identifiziere mich mit meiner ganzen priesterlichen Existenz und in der Ausrichtung meines Dienstes daran. Ich könnte mich gar nicht denken ohne das Konzil.“ Für ihn ist das Konzil ein Prozess, der noch nicht zu Ende ist: „Das Feuer des Konzils ist nicht erloschen.“

Unverbrüchliche Loyalität zu Papst und Kirche

Als Lehmann Anfang 2001 von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal erhoben wurde, galt dies als eine Sensation. Schließlich hatte es in den Jahren zuvor Meinungsverschiedenheiten mit Rom gegeben, nicht zuletzt in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung und in der Frage nach einer Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion. Übersehen worden war da von vielen – aber eben nicht von Johannes Paul II. – Lehmanns unverbrüchliche Loyalität zu Papst und Kirche.
Als Mitglied des Kardinalskollegiums nahm Lehmann am Konklave im April 2005 teil, bei dem Papst Benedikt XVI. gewählt wurde, und an dem im März 2013, das Papst Franziskus zu Benedikts Nachfolger wählte. Es darf angenommen werden: auch mit Lehmanns Stimme. Zwei Jahre später lobte der Kardinal, Franziskus ermögliche ein neues, offenes Klima der Diskussion und Meinungsfreiheit in der Kirche.
Um zu wissen, dass der Papst seinerseits viel von Lehmann hält, brauchte es nicht erst eines Schreibens zum 30-Jahr-Jubiläum von Lehmanns Bischofsweihe. Darin würdigte Franziskus dessen „menschliche Gaben“ und hob hervor: „Wir wissen, mit welchem Eifer du das Evangelium verkündigst.“