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Dirigent: Bachs Musik bringt Ordnung in die Seele

Hans-Christoph Rademanns Terminkalender ist voll. Gerade zurück von einer großen Südamerika-Tournee, ist der Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart schon wieder auf dem Sprung nach Paris. „Die Bach-Begeisterung weltweit nimmt zu“, beobachtet der preisgekrönte Dirigent und Hochschullehrer.

Auf allen Kontinenten gebe es inzwischen Bach-Festivals, werde sein Erbe gepflegt. Die Werke des Barock-Komponisten (1685-1750) begeisterten Menschen in Asien ebenso wie in Afrika oder Lateinamerika. „Seine Musik ist in sich stimmig und organisch“, sagt Rademann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Sie erreicht den Menschen in seinem Innersten und bringt Ordnung in seine Seele. Sie richtet auf und ermutigt.“

In den kommenden Wochen wird vor allem wieder das „Weihnachtsoratorium“ erklingen, Johann Sebastian Bachs wohl populärstes geistliches Vokalwerk mit den fünf berühmten Paukenschlägen am Anfang. Uraufgeführt wurde es vor 290 Jahren in Leipzig. Der weltberühmte Thomanerchor sang die sechs Kantaten zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag 1734 und dem Epiphaniasfest 1735 in den beiden Leipziger Hauptkirchen St. Nikolai und St. Thomas.

Bach, geboren 1685 in Eisenach, gestorben 1750 in Leipzig, war damals bereits seit elf Jahren Thomaskantor. Er hatte zahlreiche Kantaten und Motetten, Klaviermusiken, Orchester- und Orgelwerke sowie große Oratorien geschaffen und Leipzig damit einen herausragenden Platz in der Musikgeschichte gesichert. Eine Ironie der Geschichte liegt darin, dass der Rat der Stadt Leipzig ihn 1723 lediglich als Notlösung für die Position des Thomaskantors betrachtete: Da man die Besten nicht bekommen könne, müsse man „Mittlere“ nehmen, so die damalige amtliche Verlautbarung.

Hans-Christoph Rademann ist mit Bach groß geworden. Er wuchs in einer Kantorenfamilie im Erzgebirge auf und war zunächst Mitglied des Dresdner Kreuzchors, studierte dann an der Musikhochschule Dresden Chor- und Orchesterdirigieren, gründete den Dresdner Kammerchor, war Leiter der Singakademie Dresden, Chefdirigent des NDR-Chores und führte den RIAS Kammerchor Berlin. Seit 2013 ist er Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart und Dirigent der renommierten Gaechinger Cantorey. Mit ihr hat er gerade preisgekrönt Bachs ersten Leipziger Kantatenjahrgang eingespielt.

Doch woher kommt die Bedeutung Stuttgarts für die Bach-Pflege? „Stuttgart war im Westen Deutschlands zweifelsohne das Kompetenzzentrum für Bachs Musik“, sagt der Experte. Gerade in Zeiten der deutschen Teilung habe man sich als Gegenpol zu Leipzig verstanden. Die Pflege von Bachs Werk in Stuttgart und Umgebung reiche aber weiter zurück, sagt Rademann und verweist auf Formate wie die „Stunde der Kirchenmusik“ in Stuttgart oder die Tübinger Motette, die ihre Wurzeln in den 1930er und 1940er Jahren haben.

Einen herausragenden Platz verdanke Stuttgart dem Kirchenmusiker und Dirigenten Helmuth Rilling und dem Verleger Friedrich Hänssler mit ihrer Einspielung sämtlicher Bach-Werke. Das CD-Projekt sei ein weltweiter Erfolg gewesen, erklärt Rademann. Zudem sei Rilling sehr gut vernetzt, auch mit Unternehmern. Sie hätten ihm schließlich dabei geholfen, 1981 eine eigene Akademie – die Internationale Bachakademie Stuttgart – zu gründen.

SDG – „Soli Deo Gloria“, allein zur Ehre Gottes, so unterzeichnete Bach viele seiner Kompositionen – oft sogar an Stelle des eigenen Namens. „Darin wie in seiner gesamten Musik spiegelt sich Bachs große Demut vor dem Schöpfer aller Dinge wider“, erklärt Rademann. Muss man also Christ sein, um Bach singen zu können? „Nein“, sagt der Bach-Experte: „Aber wer sich intensiv mit Bach beschäftigt, wird gläubig.“ Das hat Bach vielfach den Beinamen des „5. Evangelisten“ eingebracht. Rademann spricht lieber vom größten Theologen unter allen Komponisten: „Fest steht: Von Bachs Musik geht eine Kraft aus, die sich nicht in Worte fassen lässt.“