Der Klimapilgerweg führt derzeit durch die Landeskirche – vorbei an besonderen Schmerzpunkten wie dem Kraftwerk Jänschwalde und dem Tagebau Cottbus-Nord im Braunkohlerevier Lausitz.
Von Friederike Höhn
„Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen“ – Mit diesen Zeilen des Liedes von Manfred Siebald auf den Lippen machten sich rund 30 Klimapilgerinnen und -pilger am vergangenen Freitag von der Cottbuser Klosterkirche aus auf ihren weiteren Weg. Vor ihnen lag eine intensive Etappe: Die nächsten beiden Tage sollten sie auf über 50 Kilometern durch das Braunkohlerevier Lausitz mit den Tagebauen Cottbus-Nord und Jänschwalde-Nord sowie dem Kraftwerk Jänschwalde führen.Am 25. November treffen sie in Berlin ein und werden ihre Forderungen an Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier (CDU) übergeben. Dann geht es weiter zur Welt-Klimakonferenz ins polnische Katowice. Die Forderungen der Pilgerinnen und Pilger: ein verbindliches Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Vertrages – was in Katowice geschehen soll –, die Einleitung des Kohleausstiegs und ein sozial verträglicher Strukturwandel in den betroffenen Braunkohleregionen sowie mehr Gerechtigkeit beim Umgang mit den Auswirkungen der Klimaveränderungen.
Verlorene Heimat, zerrüttete GemeinschaftenBesonders der zweite Punkt rückte beim Weg durch die Lausitz in den Fokus: die Schicksale der Menschen, die vom Abbau der Kohle betroffen sind. Am nordöstlichen Rand von Cottbus lag einst das Örtchen Lakoma/?akoma, Heimat von André Kossack und Maren Kühn, beide Mitte 40. „Wir hatten hier eine tolle Kindheit, mit den Teichen direkt vor der Haustür. Da gab es sogar Fischotter“, berichtete Maren Kühn. André Kossack, Mitglied des Kreiskirchenrats Cottbus, ergänzte: „Aber zeigen können wir unsere Heimat heute niemandem mehr.“ Denn 1983 wurde entschieden, dass Lakoma neben sechs anderen Ortschaften dem Braunkohletagebau Cottbus-Nord weichen muss. Beide haben viele Jahre lang dagegen angekämpft – und blicken heute in ein großes Loch.Auch in Taubendorf und Kerkwitz, zwei kleinen Ortschaften am Rande des Tagebaus Jänschwalde-Nord wird deutlich, welche Schäden die Braunkohle nicht nur in der Natur, sondern auch im Gemeindeleben hinterlässt. „Das Schlimmste ist, dass der soziale Frieden im Ort zerbrochen ist. Ein Teil wollte gerne gehen, ein anderer bleiben. So ist vieles kaputt gegangen. Die Anfeindungen sind sehr groß“, sagt Jürgen Handreck. Er ist seit 2009 Ortsvorsteher von Taubendorf und hat sich von Anfang an gegen die Kohle aufgelehnt. „Wir haben gekämpft und mit der Hilfe vieler guter Menschen haben wir es geschafft, unseren Ort zu retten.“ Roswitha Koch ist GKR-Mitglied in Kerkwitz, wo die Pilgergruppe am Samstag zur Mittagszeit mit einer Andacht und einem Teller heißer Suppe empfangen wurde. Beide Orte stehen noch, ihr Protest hatte Erfolg. Cottbus-Nord ist seit 2015 geschlossen und soll nun renaturiert werden. Jänschwalde-Nord soll 2020 auslaufen. Bleiben werden aber die Narben im Gemeinschaftsleben, an den Häusern, Straßen und in der Natur.Die Pilgerinnen und Pilger machten dafür Halt am Deulowitzer See, einem von vielen Seen der Region, dessen Wasserstand in den vergangenen Jahren massiv gesunken ist. Die Kirchengemeinde Region Guben hat vor Ort eine Dokumentation erstellt, die das Ausmaß sichtbar macht. Sie sieht sich als Mahner, sagt Matthias Bärmann, ehemaliger GKR-Vorsitzender von Kerkwitz und Mitglied der Kirchenleitung der EKBO. „Angler, Kleingärtner und andere Anrainer seien dafür verantwortlich, nicht der Bergbau, hieß es lange“, berichtet Heide Schinowsky. Sie ist Landtagsabgeordnete der Grünen und lebt im nahegelegenen Jänschwalde. Aber im vergangenen Jahr schwenkte die Stimmung in der SPD-geführten Landesregierung von Brandenburg um. Jetzt wird der Tagebau von der Politik als maßgeblicher Verursacher angesehen. Nun wird die Betreibergesellschaft LEAG die Kosten für die Auffüllung der Seen tragen. Ein erster wichtiger Schritt, so die Abgeordnete. Aber: Sie werden nur bis zum Stand von 2010 aufgefüllt, denn für die Zeit davor lägen keine Daten zu den Wasserverlusten vor, argumentiert die LEAG. Trotzdem: „Ein bisschen was ist erreicht“, sagt Heide Schinowsky.Welche Schäden an Natur und Infrastruktur sind tatsächlich durch den Braunkohleabbau entstanden? Bei den Umweltveränderungen spielen auch andere Faktoren eine Rolle, zuvorderst der Klimawandel. Der exakte Anteil des Bergbaus lässt sich nur schwer bemessen. Doch nur mittels Gutachten lassen sich Ausgleichszahlungen festlegen. Mit solchen Erklärungen geben sich die Aktivist*innen nicht zufrieden. Am Ende wird nicht das Bergbauunternehmen für die Folgekosten zahlen, sondern die Steuerzahlerinnen und steuerzahler – darüber sind sich die Pilger*innen einig.
Schmerzpunkt und Kraftpunkt zugleichDas Ende des Tagebaus scheint absehbar – doch das Kraftwerk Jänschwalde soll bis 2030 weiterbetrieben werden. Unvereinbar mit den Klimazielen des Pariser Abkommens sagen die Pilgerinnen und Pilger. Vor Ort fand eine Andacht mit Pfarrer Ingo Kschenka aus Jänschwalde statt. „Für euch ist dieser Ort hier ein Schmerzpunkt, für viele aber auch ein Kraftpunkt“, sagt er den Pilgerinnen und Pilgern zugewandt. Denn viele Menschen in der Region leben vom Abbau der Kohle und der Energiegewinnung. Und daher wird der Kampf in der Region weitergehen, auch wenn die Klimapilger*innen längst wieder zu Hause angekommen sind. Das weiß auch Roswitha Koch aus Kerkwitz: „Ganz beruhigt bin ich noch nicht. Die Angst vor der Kohle ist immer noch da.“