Das Reformationsjubiläum ist nach wie vor in vollem Gang. Die ersten großen Stationen – etwa der Versöhnungsgottesdienst in Hildesheim und der Kirchentag in Berlin und Wittenberg – liegen bereits hinter uns. In vielen Gemeinden und Kirchenkreisen steht die Reformation im Zentrum der sommerlichen Feste. Grund für einen kritischen Zwischenruf. Der Münchner Theologieprofessor Jörg Lauster stellt in seinem neuen Buch erfrischend klar heraus, was Reformation heute bedeutet.
Thies Gundlach, „Cheftheologe“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), beklagt eine „grummelige Meckerstimmung“ und „Ignoranz“ namhafter Theologieprofessoren gegenüber dem Reformationsjubiläum. Er wirft der theologischen Wissenschaft vor, die Kirche bei einer „gegenwartsbezogenen Interpretation des Jubiläums“ alleinzulassen.
Wenn diese Kritik nicht schon vorher falsch war, dann ist sie es mit Jörg Lausters Beitrag „Der ewige Protest – Reformation als Prinzip“. Der Theologe, Professor für Systematische Theologie an der Universität München, wirft in seinem neuen Buch nicht nur einen kritischen Blick auf das Reformationsjubiläum, er stellt vor allem dar, was Reformation heute bedeutet und wie ihr Kern, die Rechtfertigungstheologie, heute verstanden werden kann.
Kurz und brillant werden die wichtigsten Ereignisse der europäischen Reformationsgeschichte aufgeführt, erläutert und interpretiert. Schon wegen dieses Abrisses lohnt es sich, das Buch zu lesen.
Aus dem Ereigniszusammenhang destilliert Lauster dann seinen Ansatz „Reformation als Prinzip“: Die Reformation ist nicht allein ein historisches Ereignis – sie ist eine Haltung, ein dem Christentum innewohnendes „Prinzip eines ewigen Protests“, der im 16. Jahrhundert zu seiner sichtbarsten Gestalt gelangte. Konfessionalismus, auch der lutherische, ist hier fehl am Platz: „Wer den ewigen Protest zum Schweigen bringen will und den eigenen Glauben absolut setzt, der verrät Luther“, mahnt Lauster – und erinnert an Luthers Kampf gegen das römisch-katholische Kirchenverständnis als sakramentale Heilsanstalt.
Doch wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hier: Die Reformation frisst ihre Kinder. Bereits eine Generation nach Luther habe das Luthertum über „hierarchische Kirchenstrukturen mit Anstaltscharakter“ verfügt, stellt Lauster fest und erinnert daran: Nicht die Kirche ist wichtig, sondern das Evangelium!
Lauster bricht eine Lanze für den Kulturprotestantismus. Das ist eine theologische Richtung, die als „liberale Theologie“ von Karl Barths strikter Offenbarungstheologie an den Rand gedrängt wurde. Die liberale und kulturprotestantische Haltung zeigt sich in der „unermüdlichen Tapferkeit der Weltgestaltung“. Es ist eine theologische Strömung, die eine Öffnung gegenüber Literatur, Musik, bildender Kunst und Phänomenen der Alltagskultur nicht als Verrat an der Identität des Christentums empfindet.
Kulturprotestantismus bedeutet für Lauster auch Abschied vom Anspruch eines Wächteramts. „Ein Wächteramt nehmen in der Regel nur iranische Ayatollahs für sich in Anspruch.“ Gegenwärtig äußere sich das protestantische Wächteramt als ein vollständig überpolitisiertes, in steter Betroffenheit moralisierendes und darum anstrengendes Christentum. Doch für Tipps zu Fair-trade-Waren und Empfehlungen zu slow-food brauche niemand die Kirche.
Andererseits warnt Lauster vor einer Niveauabsenkung durch ein Hinüberdriften ins Seichte und Banale. „Es ist der Geist des Playmobil-Luthers, der aus dem Wohlfühl- und Wellnessprotestantismus spricht“, schreibt er. Infantilisierung als Strategie der Öffentlichkeitsarbeit ist aus seiner Sicht fatal, den wachsenden Widerstand gegen die „Ponyhof-Theologie“ findet er verständlich.
Das hemmungslose Luther-Merchandising will Lauster dennoch nicht als Vorboten des nahenden Untergangs sehen. Die mediale Geschäftigkeit wirkt für ihn eher wie lautes Rufen im Wald, wie ein nervöser Aktionismus einer Religionsgruppe, die Marginalisierung fürchtet. Nicht einmal in Kuba, China oder Nordkorea käme man auf die Idee, die eigene Gründungslegende zehn Jahre zu feiern, merkt er ironisch an.
Umso wichtiger sind inhaltliche Beiträge wie der von Lauster, die protestantische Haltung vermitteln: tapfer die Welt zu gestalten, im Vertrauen auf eine der Welt eingelassene Güte dem Absurden zu widerstehen, sich dabei getragen zu wissen von der Gewissheit einer Tiefe unseres Daseins, die allem Banalen und Seichten widerspricht.
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Die Kirche ist kein Ponyhof
Wie kann Reformation heute noch verstanden werden? Ein Zwischenruf des Theologen Jörg Lauster

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