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Die größte US-Sozialreform: Vor 90 Jahren kam die Rentenversicherung

Es war die weitreichendste Sozialreform in der Geschichte der Vereinigten Staaten: Vor 90 Jahren führte Präsident Franklin D. Roosevelt in den USA eine Rentenversicherung ein, die „Social Security“. Vorher gab es kaum eine Absicherung fürs Alter, man war auf die Familie und Ersparnisse angewiesen.

Rund 70 Millionen US-Amerikaner, mehr als ein Fünftel der Bevölkerung, beziehen gegenwärtig „Social Security“, im Schnitt sind es 20.000 Dollar im Jahr. Wie in Deutschland gibt es allerdings auch in den USA Sorgen um die langfristige Finanzierbarkeit.

Unterzeichnet wurde das Gesetz am 14. August 1935, die Fotos zeigen Roosevelt im sommerlich-hellgrauen Anzug, umgeben von Politikern der Demokratischen Partei. Direkt hinter dem Präsidenten steht Arbeitsministerin Frances Perkins. Sie war die erste Frau in einem Ministeramt in den USA und wesentlich verantwortlich für die Initiative.

In den 1930er Jahren litten die USA unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise, es herrschten Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit. Der Wandel von einer vornehmlich landwirtschaftlich zu einer industriell geprägten Wirtschaft habe das Leben unsicherer gemacht und die Sorgen um das Altwerden größer, erklärte Roosevelt und versprach: Die Reform werde zumindest „etwas Schutz gewähren.“

Der aktuelle US-Präsident Donald Trump schwächt die „Social Security“ nun: Tausende Stellen in der Behörde werden abgebaut und es gibt neue bürokratische Erschwernisse, die die Wartezeiten verlängern und manche Antragsteller zum persönlichen Behördengang zwingen. Zusätzlich sorgt Trump sorgt mit Falschbehauptungen, dass zahlreiche Empfänger zu Unrecht Geld bekämen, für Verunsicherung.

Der pro-„Social Security“ Bürgerverband „Social Security Works“ spricht von einer massiven Krise beim Service für die Versicherten. Und es formiert sich Widerstand: In vielen Städten wurde in diesem Jahr protestiert, unter dem Slogan: „Finger weg von der Social Security“.

Der scharfe Konflikt um die Rolle der Regierung bei der sozialen Absicherung zieht sich durch die Geschichte der USA. Die Republikanische Partei und wirtschaftsnahe Akteure halten gewöhnlich am Prinzip der Marktwirtschaft und Eigenverantwortung fest. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Alf Landon erklärte 1935 gar, Roosevelts Konzept der Altervorsorge sei „grausamer Betrug“. Arbeiter müssten Beiträge zahlen und bekämen nichts zurück. Der Vertreter der Handelskammer von Ohio warnte im Kongress, das Gesetz werde „die Faser des amerikanischen Volkes für immer schwächen“. Eigenverantwortlichkeit sei „der Schlüssel zum Erfolg in Amerika“.

Ähnliche Argumente gab es 1965 bei der Einführung von Medicare, der Krankenversicherung für Senioren, und von Medicaid, der Versicherung für Einkommensschwache, und auch 2010, als Präsident Barack Obama mit Mühe und Not seine „Obamacare“ genannte Gesundheitsreform durchsetzte. Umfragen zeigen, dass heute eine deutliche Mehrheit der US-Amerikaner alle diese Reformen für gut hält. Das neue Steuer- und Ausgabengesetz, von Trump „Big Beautiful Bill“ genannt, sieht allerdings signifikante Kürzungen bei Medicaid vor.

„Social Security“ sei „eine der erfolgreichsten Initiativen der Geschichte“, sagt die Chefin des Seniorenverbandes AARP, Myechia Minter-Jordan, anlässlich des 90. Geburtstages der Rentenversicherung. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Gesetz auch auf Hilfen für Behinderte, Verwitwete und Waisen ausgedehnt.

Das Kuratorium der „Social Security“- Behörde, zuständig für eine jährliche Bestandsaufnahme, teilte im Juni allerdings mit, dass das Programm ohne Reformen nur bis zum Jahr 2034 Überweisungen in vollem Umfang leisten könne. Es wird nach Lösungen gesucht.

Eine Arbeitsgruppe republikanischer Politiker hat vorgeschlagen, das Alter für „volle Rentenzahlung“ von 67 auf 69 zu erhöhen. Seit Jahren taucht immer wieder die Idee auf, die „Social Security“ zu privatisieren und Beitragszahler einen Teil ihres Geldes an der Börse investieren zu lassen.

Wirtschaftswissenschaftler Dean Baker vom Institut „Center for Economic Research“ hat kürzlich in einem Bericht einen Sanierungsweg angesprochen, den manche Politiker der Demokratischen Partei befürworten: Gegenwärtig werden nur für Lohn und Gehalt bis zu 176.100 Dollar im Jahr Rentenbeiträge abgezogen, auf Erlöse aus Aktien hingegen werden keine Rentenbeiträge fällig. Würde man das ändern, könne viel Geld in die Rentenkasse fließen.

Vollkommen fair war jedoch auch Roosevelts ursprüngliches Gesetz nicht: Es kam anfangs nur Beschäftigten in Handel und Industrie zugute. Nicht berücksichtigt wurden Arbeiterinnen und Arbeiter in der Landwirtschaft und Hausangestellte. Viele dieser Beschäftigten waren Afro-Amerikaner.

Die „Social Security“-Initiative war Teil von Roosevelts „New Deal“, einem Paket von Wirtschafts- und Sozialreformen. Dazu gehörten Investitionen in die Infrastruktur, von der Regierung finanzierte Jobs und die Regulierung von Banken. Dem „linken“ Amerika gilt diese Politik noch heute als Vorbild.