Auch wenn im Kölner Karneval fast alle in den Gassenhauer „Mer losse den Dom in Kölle“ einstimmen können – wirklich Kölsch können nur noch die wenigsten, weiß Doris Kreuer. Sie leitet die Kölsch AGs der SK Stiftung Kultur der Sparkasse KölnBonn. Nachmittags oder in den Ferien bietet sie Kurse für Grundschüler an, singt mit den Kindern kölsche Lieder, liest Legenden wie die „Heinzelmännchen zu Köln“ vor oder probt ein Theaterstück auf Kölsch ein. Seit 2007 gibt es an etwa 25 Grundschulen Angebote in Kölsch.
Schulbücher müssen das Thema Dialekt enthalten
Der Einsatz für die „kölsche Sprooch“ ist kein Einzelbeispiel. Mundart ist wieder in Mode. Nicht nur in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften, auch im offiziellen Schulunterricht haben Dialekte in vielen Bundesländern ihren Platz.
Laut nordrhein-westfälischem Schulministerium ist die Beschäftigung mit Dialekten oder Regionalsprachen in allen Kernlehrplänen für das Fach Deutsch in der Sekundarstufe I verankert – zum Beispiel für das Gymnasium im Bereich „Sprachvarianten und Sprachwandel“. Im Regierungsbezirk Münster wurde ein Schulversuch Niederdeutsch in die Wege geleitet.
Für Bayern hat das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München eine Handreichung herausgegeben, die Lehrern beim Unterrichten des Dialekts helfen soll. Schulbücher dürfen nur noch dann genehmigt werden, wenn das Thema Dialekt auch entsprechend gewürdigt wird. In Niedersachsen ist seit dem Schuljahr 2006/2007 das Niederdeutsche verpflichtender Teil im Unterricht für Grund- und weiterführende Schulen. Auch das Saterfriesische nördlich von Cloppenburg wird gefördert. Und so lernen schon die Grundschüler, dass zum „Dee“ (saterfriesisch für Teig) auch „Molk“ (Milch) hinzugegeben werden muss. Selbst Fachunterricht darf in Plattdeutsch erteilt werden.
Um das Niederdeutsche oder auch das Saterfriesische unterrichten zu können, kommen Fachberater an die Schulen, 2014 wurde ein Zertifizierungsprogramm für Lehrer ins Leben gerufen.
Dialekt gehört in die Schulen – dabei galt er lange Zeit als Makel: Noch in den 1960er Jahren haben Lehrer Schüler ermahnt, nur Hochdeutsch zu sprechen. Kinder, die des Hochdeutschen nicht mächtig waren, wurde ein Schulwechsel vorgeschlagen. Haben 1991 laut dem Meinungsforschungsinstitut Allensbach noch 28 Prozent der Westdeutschen einen Dialekt gesprochen, waren es 2008 nur noch 24 Prozent.
Lange Zeit galt Mundart als hinterwäldlerisch
Die Diskriminierung des Dialekts geht bis ins 16. Jahrhundert zurück, weiß Dialektforscher Georg Cornelissen vom Landschaftsverband Rheinland in Bonn. Damals wurde im Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen das Hochdeutsch aus Süddeutschland übernommen und das Platt, also der Dialekt, verdrängt. „Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sprachen schließlich alle Plattsprecher auch Hochdeutsch und mussten sich entscheiden – wann spreche ich hochdeutsch, wann platt?“
Die Elite entschied sich für Hochdeutsch und gegen Platt. So rutschte in Nordrhein-Westfalen die Gruppe der Plattsprecher immer mehr an das unterste soziale Ende der gesellschaftlichen Skala. „Wer Platt sprach, wurde als dumm, hinterwäldlerisch und zurückgeblieben angesehen“, sagt Cornelissen. Zu dieser Gruppe wollte niemand gehören, so dass Eltern aufhörten, den Dialekt an ihre Kinder weiterzugeben.
Vor einigen Jahren kam jedoch die Wende: Dialekt wurde wieder als etwas Schützenswertes angesehen; Kindern, die Dialekt sprechen, ein besseres Sprachverständnis attestiert. Die Universität Oldenburg untersuchte über mehrere Jahre die Aufsätze von Dritt- bis Sechstklässlern. Kinder, die neben Hochdeutsch auch einen Dialekt sprachen, machten deutlich weniger Rechtschreibfehler. Ihre Fehlerquote war um durchschnittlich 30 Prozent niedriger.
„Es ist unstrittig, dass Kinder, die Dialekt sprechen, sich mit dem Erlernen von Fremdsprachen leichter tun“, sagt auch Sprachforscher Cornelissen. „Nur – solche Kinder haben wir fast gar nicht mehr.“