Maksim Alissa berichtet für das syrische Fernsehen über die Lage der Flüchtlinge in Deutschland. Wenn sich in Syrien nichts an der politischen Lage ändere, werde es das Land bald nicht mehr geben, sagt der Deutschland-Korrespondent des Assad-kritischen Privatsenders „Orient News“. Denn rund die Hälfte der Syrer sei derzeit auf der Flucht. Auch er selbst hat vor vier Jahren in Deutschland Asyl beantragt. Wie es für ihn ist, Zehntausende fliehende Landsleute zu sehen und welche Perspektiven er für sein Heimatland sieht, erzählt er im Gespräch mit Christiane Ried.
• Horst Seehofer hat kürzlich in einem Interview angesichts des Flüchtlingsandrangs gesagt: „Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu bekommen.“ Sind seine Sorgen berechtigt?
Nein, ich denke nicht. Meine Eltern zum Beispiel sagen: „Egal was in Syrien passiert. Wir verlassen unser Land nicht.“ Mein Vater ist 70 Jahre alt – er will nicht in Deutschland sterben und er will in seinem Alter auch keine neue Sprache mehr lernen. Außerdem ist er Rentner, er könnte gar nicht mehr arbeiten. Was soll er also in Deutschland? Es gibt viele Leute, die das ähnlich sehen. Es sind vor allem die jungen Leute, die fliehen, weil sie keine Zukunft in Syrien sehen. Es gibt keine Arbeit, außerdem befürchten sie, im Militärdienst verheizt zu werden. Und die Frauen haben Angst vor Vergewaltigungen durch die IS-Truppen.
• Woher kommt das positive Bild von Deutschland?
Die Syrer denken, dass Deutschland ein finanziell starkes Land ist. Es gibt ein Grundgesetz, also ein gutes demokratisches System. Außerdem glauben sie, dass in einem solch großen Land bestimmt Arbeit zu finden ist. Die Mehrheit der Syrer kommt ja nicht wegen des Geldes. Sie wollen dem Staat nicht auf der Tasche liegen, sondern schnellstmöglich arbeiten. Deutschland jedenfalls halten viele Syrer für das beste Land für sich.
• Was fühlen Sie, wenn Sie die Flüchtlingsbilder sehen? Es geht ja auch um Ihr Land und um Ihre Landsleute.
Ich bin traurig. Wir wollten Reformen, mehr politische Parteien, Pressefreiheit. Nach der Revolution 2011 hat das Assad-Regime viele politische Aktivisten verhaften lassen, gegen Demonstranten ging es mit Waffengewalt vor. Derzeit sind elf Millionen Syrer im In- und Ausland auf der Flucht. Das ist fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 23 Millionen. Wenn die Situation so bleibt, wird es Syrien in ein paar Jahren nicht mehr geben.
• Wie sieht Machthaber Assad das Ausbluten seines Landes?
Assad sagt, dass Europa gegen Syrien kämpft und den Plan verfolgt, das Land quasi leerzuräumen. Was er selbst oder sein Vater getan haben, das sagt er natürlich nicht. Die Leute fliehen ja wegen seiner Politik – und nicht, weil Europa sie will. Vielen Syrern ging es zu Hause sehr gut, sie hatten Geld, eigene Läden. Man darf nicht vergessen: Die Syrer verlassen ihr Land ja nicht einfach so – sie werden gezwungen durch den Bürgerkrieg, durch das Assad-Regime, durch den Islamischen Staat…
• Sehen Sie eine Lösung?
Eine Lösung ohne den Sturz von Assad gibt es nicht. Wenn Assad weg ist, verschwindet auch der IS. Denn die beiden stehen sich nahe. Assad betreibt Handel mit dem IS und bekommt unter anderem Öl, im Gegenzug kämpfen viele Assad-Leute für den IS. Das Problem ist, dass die USA nicht so recht eingreifen wollen – warum auch immer.
• Ihre Eltern und Ihre Geschwister leben noch in Syrien. Haben Sie Angst um sie? Immerhin sind Sie ja ein Assad-kritischer Journalist.
Meine Eltern leben in Al-Hasaka, in der Nähe zur türkischen und irakischen Grenze. Dort ist es noch relativ ruhig, obwohl vor ein paar Monaten der südliche Teil der Stadt für einige Zeit in die Hände des IS gefallen ist. Aber klar: Ich habe schon ein bisschen Angst.
• Zurück nach Syrien können Sie als Assad-Kritiker nicht. Mussten Sie auch in Deutschland Asyl beantragen?
Ja. Ich bin am 27. September 2003 als Student nach Deutschland gekommen. Ich bin nach Tübingen, um dort – auf Wunsch meiner Eltern – Medizin zu studieren. Ende 2011 wollte ich dann aber das Studienfach wechseln, weil ich mich einfach mehr für Politik und Medien interessiert habe. Die Ausländerbehörde lehnte aber ab und teilte mir nach der Revolution in Syrien mit, dass ich Deutschland verlassen muss. Mir blieb dann nur die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Denn ich habe Demos gegen das Assad-Regime organisiert und regelmäßig Artikel über die Menschenrechtssituation in Syrien geschrieben. Wäre ich zurückgekehrt, wäre ich verhaftet worden oder hätte meine Familie in Gefahr gebracht. Nach zehn Monaten kam mein positiver Bescheid. Ich bin dann nach Berlin und habe angefangen, als Journalist zu arbeiten.