Propst Christian Stäblein stellte sich am vergangenen Sonntag der Öffentlichkeit als erster von drei Kandidaten für das Bischofsamt in der Landeskirche vor.
Von Constance Bürger
Ihn kennt und schätzt man in der Landeskirche als leidenschaftlichen Prediger, als intellektuellen Theologen, als empathischen Seelsorger und als enthusiastischen Christen: Christian Stäblein. Seit 2015 ist er Propst der Landeskirche. Er ist damit theologischer Leiter des Konsistoriums und zuständig für theologische Grundsatzfragen. Am vergangenen Sonntag stellte sich Christian Stäblein als einer von drei Kandidaten für das Bischofsamt in einem Gottesdienst in der St. Marienkirche in Berlin-Mitte vor. Anschließend sprach er in einem knapp 25-minütigen Vortrag zum Thema „Erkennbar Kirche sein“. Danach stand er der Gemeinde Rede und Antwort zu verschiedenen Themen. Da ging es unter anderem um Gemeindestrukturen, den Dialog mit Islam und Politik und das Verhältnis zur Ökumene. Jeder und jede war eingeladen, seine und ihre Fragen zu stellen. Der gleiche Ablauf ist für die beiden anderen Vorstellungsgottesdienste geplant – am 10. Februar mit Heidrun Dörken, evangelische Senderbeauftragte für den Hessischen Rundfunk in Frankfurt/Main, und am 24. Februar mit Jochen Arnold, Leiter des Michaelisklosters in Hildesheim. Beide präsentieren sich 15 Uhr in der St. Marienkirche. Eine Möglichkeit, die beiden eher unbekannten Gesichter kennenzulernen.In seinem Vortrag beschrieb sich Christian Stäblein selbst als einen, „der Gott so versteht, dass er sich in unsere Geschichten hinein erzählt und einen, der davon einfach gern erzählt“. Für ihn ist die Geschichte Gottes eine Erzählgeschichte. So werde Kirche erkennbar. Er nahm die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine Reise zu persönlichen Begegnungen und Erlebnissen. Davon zeichnet er vor den der Besucherinnen und Besucher konkrete Bilder. Und hielt immer wieder direkten Blickkontakt mit ihnen. Am vergangenen Sonntag erzählte er von einer Frau, die er in der Berliner S-Bahn kennenlernte. Wohnung und Arbeit hatte sie verloren, die Bahnhofsmission unterstützt sie nun. Die Frau hielt eine Karte in der Hand mit dem Gesicht der lächelnden Mona Lisa. Sie fragte: Ist dieses Lächeln echt oder nur eine Maske? Schaut Gott auch nur durch die Menschen hindurch? Sie will Gott erkennen – so geht es auch Mose im Predigttext des vergangenen Sonntags (2. Mose 3,1-8.10.13.15). Mose will wissen, wer Gott ist und wie sein Name ist, bevor er von Gott losgeschickt wird, um dessen Auftrag zu erfüllen. Stäblein übertrug in seiner Predigt dieses Bild auf die Begegnung mit der Frau in der S-Bahn. Ob sich dieses Erlebnis Stäblein‘ wirklich zugetragen hat, fragte sich die eine oder der andere. Aber Stäblein ist jemand, der auf Menschen zugeht – warum sollte sich diese Geschichte also so nicht ereignet haben? An diesem Nachmittag sprach sich Stäblein für eine Kirche aus, die darin erkennbar ist, dass sie nicht nur im Vertrauen auf Gott predigt, sondern aus diesem Vertrauen lebt. Gott sieht die Menschen an, nicht durch sie hindurch. Er lächelt sie an. Er steht mit anderen in ihrem Leid auf, fängt auf, springt über Mauern. „Er ist eine Lebensoffenbarung für alle Zeit“, sagte Stäblein in seiner Predigt. Menschen, die Brüche in ihren Biografien erlebt haben, müsse zugehört werden. Und Kirche muss sich mit klaren Worte äußern, insbesondere in einer Zeit, in der einfache Antworten in der Gesellschaft immer mehr Zuspruch finden. Diese empathische Haltung Stäbleins zeigt sich auch in dem ungewöhnlichen Bild der Mona Lisa und der Begegnung mit der Frau in der S-Bahn. Nicht jede und jeder kann sich womöglich darin wiederfinden. Eventuell hätte die eine oder der andere von der Predigt weniger Bilder und eine intensivere Auslegung der Bibelstelle erwartet? Aber Stäblein kam möglichen Kritikern zuvor, fragte zum Beispiel, ob er in einen „Fettnapf“ trete, wenn er die Begegnung mit der Frau so unvermittelt und schnell übertrage. Selbstreflexion ist sicherlich auch eines seiner Markenzeichen. Christian Stäblein spricht nicht nur in Bildern, die unkonventionell sind. Er agiert auch so: Das Gottverständnis der Kirche stehe nicht für das Verharren in Traditionen und Gewohnheiten, sondern immer auch für einen Aufbruch ins Neue. Dies müsse auch in „Zeiten zunehmender Verrohung und kleiner werdender Gemeinschaften“ im Bewusstsein bleiben. Er fordert ein neues Nachdenken über die bisherige Art der Kirchenmitgliedschaft sowie neue Bildungsmöglichkeiten und verstärkte Formen von Gebet und Seelsorge. Kirche müsse auf dem Markt der Vielfalt erkennbar sein. Sie müsse zudem neue Orte kirchlicher Präsenz finden, die die klassischen Kirchengemeinden ergänzen. Kirche soll nicht darauf warten, dass die Menschen zu ihr komme. Sie soll dahin gehen, wo die Menschen sind – das heißt auch an andere, neue Orte. In der Predigt konnte sich jede und jeder wiederfinden: Stäblein sprach zu den Berlinern, Brandenburgern und den Menschen aus der schlesischen Oberlausitz, den Kulturinteressierten und den Ehrenamtlichen, der Jugend und den Senioren – für den einen oder die andere wirkte das eventuell überladen. Nichtsdestotrotz, Stäblein kennt die Landeskirche gut. Als Propst wirkt er in zahlreichen Gremien mit, hält Predigten und Vorträge in Gemeinden und Konventen.Als Bischof will Stäblein politische Positionen vertreten, solange sie nicht parteipolitisch sind. Dabei muss Kirche sich als kritische Stimme einbringen. Dies gilt auch für die Verantwortung für ein gutes interkulturelles Miteinander. Im Dialog mit den anderen Religionen will er für eine differenzierte Sprache werben sowie Stereotypen entgegenwirken, die die Gesellschaft spalten. Die Besucherinnen und Besucher trafen auf einen Christian Stäblein, wie man ihn kennt. Er brachte die Gemeinde zum Klatschen, zum Beispiel, als er sich für offene Kirchen aussprach,?und zum Lächeln, als er vom Landesposaunenfest im Kloster Chorin erzählte. Souverän antwortete er auf kritische Nachfragen aus der Gemeinde. Eine Landessynodale wollte wissen, wie er zu den Strukturfragen in den Kirchengemeinden stehe. Diese löse man seiner Meinung nach „nicht mit einem Metaplan “, sondern dafür seien Beteiligungsprozesse wichtig. Stäblein will „Bischof für alle“ sein – nicht nur oben von der Kanzel, sondern auch mitten unter den Menschen. Christian Stäblein will auch mit seiner persönlichen Art überzeugen: Mit ihm weiß man, wen man wählt – er ist ein authentischer Typ. Er hat gezeigt, dass er als Bischof die Chance nutzen will, noch mehr anzuschieben, als er jetzt schon kann. Er will Kirche bewegen, gestalten und das Verständnis von Kirche innerhalb der Gesellschaft wandeln. „Gott ist nicht der Gott einer Identitätsbewegung, sondern eines Aufbruchs“, sagte er in seiner Predigt. Die eine oder der andere hat sich dabei sicherlich konkrete Beispiele erhofft. „Aber ein sich Fixieren auf das Erkennbare wäre ein Aufgeben des Kirche-seins“, so Stäblein.Am 5. April wählt die Landessynode den neuen Bischof oder die neue Bischöfin. Davor lernen die Christinnen und Christen der Landeskirche noch zwei weitere Kandidaten kennen.
Zur Person:Christian Stäblein (51) ist seit August 2015 Propst der Landeskirche. Davor war er sieben Jahre lang Konventual-Studiendirektor des Predigerseminars der Hannoverschen Landeskirche im Kloster Loccum. Christian Stäblein war als Gemeindepfarrer im niedersächsischen Nienburg/Weser und in Legende tätig. Am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Universität Göttingen arbeitete er als Wissenschaftlicher Assistent und wurde 2002 mit einer Arbeit über „Das jüdische Gegenüber in der evangelischen Predigtlehre nach 1945“ promoviert. Er studierte Evangelische Theologie sowie im Nebenfach Judaistik und Philosophie in Göttingen, Berlin und Jerusalem. Er wuchs in Hannover auf und ist in Bad Pyrmont geboren.