Hamburg. Vor 200 Jahren, im Dezember 1817, gründeten 65 jüdische Hausväter den Hamburger Tempelverein. Er gilt als Wurzel des Liberalen Judentums, zu dem sich heute etwa 1,7 der weltweit 14 Millionen Juden zugehörig fühlen. Besonders weit verbreitet ist es in den USA. International werde das Jubiläum in den jüdischen Gemeinden Beachtung finden, sagt Andreas Brämer, Vize-Direktor des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden. "Die Welt blickt auf Hamburg." Die Hansestadt will das Jubiläumsjahr mit einem Senatsempfang, einer Konferenz und Konzerten begehen.
Wesentliche Merkmale des Liberalen Judentums sind die Gleichberechtigung der Frauen, Predigten in deutscher Sprache und der Einsatz von Musikinstrumenten. Statt auf die strenge Befolgung der Gebote wird mehr Wert auf ethisches Handeln und den Dialog mit der nichtjüdischen Gesellschaft gelegt. Anhänger waren in Hamburg vor allem Mitglieder der bürgerlichen Oberschicht. Die Gründer hofften vor allem auf eine Wiederbelebung des Judentums. Statt von einer Synagoge sprachen sie von ihrem "Tempel".
Streit entzündete sich am Gebet-Buch
Frühe Reformbestrebungen gab es bereits in Westfalen, Seesen und Berlin. Hamburg ist nach Einschätzung von Brämer allerdings der Ort, wo das Liberale Judentum "Wurzeln schlägt". Der erste Konflikt mit der jüdischen Einheitsgemeinde entzündete sich an dem neuen Gebet- und Gesangbuch. Weil viele der Gründerväter sich in Hamburg heimisch fühlten, strichen sie Texte, in denen Gott um eine Rückkehr nach Palästina gebeten wurde.
1818 mietete der Tempelverein ein Hinterhof-Lokal in der Neustadt (Alter Steinweg). Es gab eine Orgel zur Chor-Begleitung, und es fehlte der Sichtschutz zwischen Frauen und Männern. Die Geistlichen trugen ein Ornat, das dem Talar der lutherischen Pastoren ähnelte. Die ersten Jahre waren davon geprägt, ein eigenes Profil zu entwickeln, ohne dass es zum Bruch mit der Einheitsgemeinde kam. Der Tempel fand 1843 auch Eingang in Heinrich Heines "Wintermärchen": "Die Juden teilen sich wieder ein/ In zwei verschiedne Parteien;/ Die Alten gehen in die Synagog,/ Und in den Tempel die Neuen."
1844 wurde ein neuer Tempel in der Neustadt (Poolstraße) für 350 Männer und 290 Frauen eröffnet. Die dreischiffige Basilika stand zwar in einem Hinterhof, war aber frei stehend. Männer und Frauen saßen getrennt, durften aber den gleichen Eingang benutzten. Der Tempel wurde 1944 durch Bomben zerstört. Nur einige Ruinenstücke sind noch erhalten.