Im Januar 2010 wurden Fälle von Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg bekannt. Es folgten unzählige weitere Fälle – auch in nicht-kirchlichen Einrichtungen. Zum Jahrestag wenden sich Betroffene an Bundestagsabgeordnete.
15 Jahre ist es her, dass drei ehemalige Schüler der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg den Schulleiter, Pater Klaus Mertes, über Fälle von Missbrauch informierten. Mertes machte die Taten publik und rief weitere Betroffene auf, sich zu melden. Damit begann die bis heute anhaltende Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche in Deutschland. Aus Anlass des Jahrestags wendet sich die Betroffeneninitiative “Eckiger Tisch” nun mit einem Brief an Bundestagsabgeordnete. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Stationen im Umgang mit dem Missbrauchsskandal.
Der Leiter des Canisius-Kollegs der Jesuiten in Berlin, Pater Klaus Mertes, macht durch einen Brief an ehemalige Schüler den Missbrauchsskandal an seiner Schule bekannt. Jesuiten hatten in den 1970er und 80er Jahren Schüler sexuell missbraucht. Er löst damit eine Welle von Enthüllungen zu Missbrauchsfällen in der Kirche, aber auch in Schulen und anderen Institutionen aus.
Die Bischöfe bitten auf ihrer Vollversammlung in Freiburg um Entschuldigung wegen der Missbrauchsfälle. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann wird Sonderbeauftragter für das Thema. Eine Hotline für Opfer wird eingerichtet.
: Die Kirche beteiligt sich am Runden Tisch, der von der Bundesregierung eingerichtet wird.
Die Bischöfe verschärfen ihre “Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch”. Unter anderem müssen glaubhaft verdächtigte Geistliche nun umgehend vom Dienst suspendiert werden.
Die Ergebnisse des ersten Forschungsprojekts werden vorgestellt. Der Forensiker Norbert Leygraf kommt darin unter anderem zu dem Schluss, dass nur wenige katholische Priester, die Minderjährige missbraucht haben, im klinischen Sinne pädophil seien.
Die Bischofskonferenz veröffentlicht abermals verschärfte Richtlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch. Danach sollen Kleriker, die Schutzbefohlene missbraucht haben, nicht mehr in den Seelsorgedienst zurückkehren dürfen, wenn “dieser Dienst eine Gefahr für Minderjährige oder erwachsene Schutzbefohlene darstellt oder ein Ärgernis hervorruft”. Ein komplettes Beschäftigungsverbot für sexuell übergriffig gewordene Priester nach dem Beispiel der US-Bischöfe lehnt die Bischofskonferenz ab.
Die Bischöfe beauftragen einen Forschungsverbund um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Ziele sind eine Erhebung quantitativer Daten zur Häufigkeit und zum Umgang mit sexuellen Missbrauchshandlungen an Minderjährigen durch Geistliche. Darüber hinaus sollen Täterstrategien, Opfererleben und das Verhalten der Verantwortlichen untersucht werden.
Eine erste Teilstudie wird vorgestellt. Diese hatte Missbrauchsuntersuchungen aus anderen Ländern in den Blick genommen. Danach waren die Täter in erster Linie Gemeindepfarrer und andere Priester (über 80 Prozent). Bei rund einem Drittel wurden eine emotionale oder sexuelle Unreife festgestellt, bei jedem fünften eine Persönlichkeitsstörung und bei 17,7 Prozent Merkmale von Pädophilie. Alkoholabhängig waren 13,1 Prozent der Täter.
Bei der Herbstvollversammlung der Bischöfe stellen beteiligte Wissenschaftler die Ergebnisse der von den Bischöfen in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie vor. Demnach haben die Forscher 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe von mindestens 1.670 Priestern und Ordensleuten in den Akten von 1946 bis 2014 gefunden.
Die Bischöfe beschließen einen Sieben-Punkte-Plan, in dem sie sich unter anderem verpflichten, Betroffene des Missbrauchs und externe unabhängige Fachleute stärker in die Aufarbeitung einzubeziehen. Sie wollen auch klären, wer über die Täter hinaus institutionell Verantwortung getragen hat, etwa für Vertuschung oder die Versetzung von Tätern. In der Folgezeit geben viele Bischöfe Studien zur Untersuchung von Missbrauch in ihren Bistümern in Auftrag und veröffentlichen sie.
Nach intensivem Ringen beschließen die deutschen Bischöfe einen “verbindlichen Synodalen Weg”, um nach dem Missbrauchsskandal Vertrauen zurückzugewinnen und nach den systemischen Ursachen des Missbrauchs zu fragen.
Spitzenvertreter aus Politik und Zivilgesellschaft nehmen an der Auftaktsitzung eines Nationalen Rates zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch teil. Er soll die Strukturen für Schutz, Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche dauerhaft sichern.
Im selben Monat schafft Papst Franziskus das “Päpstliche Geheimnis” bei der Verfolgung von Missbrauchsfällen ab. Eine Instruktion löst die bislang geltende strengste Verschwiegenheitspflicht bei kirchlichen Strafrechtsverfahren wegen Sexualdelikten ab, etwa bei sexuellen Handlungen mit Minderjährigen, Besitz und Verbreitung von kinderpornografischem Material sowie Vertuschung.
: Bischof Ackermann und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, unterzeichnen eine Vereinbarung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch. Demnach soll die Aufarbeitung in den katholischen Bistümern transparent und nach einheitlichen Kriterien erfolgen. Auch sollen unabhängige Experten an dem Prozess teilnehmen. Diese muss nun von den Bistümern umgesetzt werden.
Der Ständige Rat der Bischofskonferenz beschließt eine neue Ordnung für Missbrauchszahlungen, die zum 1. Januar 2021 in Kraft treten soll. Missbrauchsopfer können dann anstelle der bisher üblichen 5.000 Euro Summen bis zu 50.000 Euro erhalten, in Einzelfällen auch darüber hinaus. Zusätzlich sind wie bisher weitere Hilfen für Beratung oder Therapien möglich.
Die Bischofskonferenz stellt eine Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistung (UKA) vor, die ab Januar 2021 über die Höhe der Zahlungen an Betroffene entscheiden soll. Die sieben Expertinnen und Experten aus den Bereichen Recht, Medizin und Psychologie sollen weisungsunabhängig handeln und sind keine Mitarbeiter der katholischen Kirche.
Matthias Katsch und Pater Klaus Mertes erhalten für ihr Engagement zur Aufarbeitung von Missbrauch das Bundesverdienstkreuz.
Der Aachener Bischof Helmut Dieser löst nach zwölf Jahren den bisherigen Missbrauchsbeauftragten der Katholischen Kirche, Bischof Ackermann ab.
Die Evangelische Kirche in Deutschland veröffentlicht ihre Missbrauchsstudie. Demnach gibt es auch hier seit Ende des Zweiten Weltkriegs mehrere Tausend Fälle von Missbrauch.
Das Landgericht Köln spricht in einem wegweisenden Urteil einem Mann das bislang höchste derartige Schmerzensgeld von 300.000 Euro zu. Er war in seiner Zeit als Messdiener im Erzbistum Köln missbraucht worden. Seit diesem Urteil haben Missbrauchsbetroffene mehrere Bistümer auf Schmerzensgeld verklagt.
Der Eckige Tisch startet eine Petition zur Aussetzung der Verjährung in Schmerzensgeldprozessen bei Opfern von Missbrauch.
Ein Brief der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch an Bundestagsabgeordnete mit Bitte um Unterstützung bei Entschädigungsforderungen wird öffentlich.