Die aktuelle Afrika-Reise des Bundeskanzlers steht im Zeichen von Wirtschaft und Migration. Ansätze wie die Schaffung von Migrationszentren seien allerdings realitätsfern, wird vor Ort kritisiert.
Die Bundesregierung ist auf der Suche nach neuen Gaslieferanten. Afrikas Riesenstaat Nigeria mit einer Bevölkerung von mehr als 220 Millionen Menschen steht dabei hoch im Kurs. Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits im Vorfeld seiner dreitägigen Reise nach Nigeria und Ghana, die am heutigen Dienstag endet, im Interview der nigerianischen Zeitung “The Punch” betont: “Deutsche Unternehmen haben ein Interesse an Gaslieferungen aus Nigeria und sehen einer Zusammenarbeit mit nigerianischen Gasunternehmen erwartungsvoll entgegen. Für seine Volkswirtschaft und seine Energiewende hat Deutschland einen erheblichen Bedarf an Erdgas und perspektivisch auch an Wasserstoff.”
In der Hauptstadt Abuja sieht Klimaaktivistin Adenike Oladosu dies kritisch. “Der Klimawandel ist auch in Nigeria Realität. Man muss weitsichtiger sein.” Statt Gasexporten fordert sie einen Ausbau von grüner Energie. “Damit verbessern wir die Lebensbedingungen von Menschen und können Millionen Jobs vor Ort schaffen. Mit Gas werden wir keine grünere Welt erreichen.” Vor allem im ölreichen Niger-Delta seien die Folgen des Abbaus fossiler Brennstoffe sichtbar. Ölschlieren überziehen das weit verzweigte Flusssystem. Das Abfackeln von Gas ist zwar verboten, aber noch immer Alltag. “Wird der Gassektor ausgebaut, müssen wieder Kommunen weichen. Nigeria ist doch keine Müllhalde”, so Oladosu.
Ein weiteres zentrales Thema der Reise war die Debatte um die Rückführung von Migranten ohne Bleibeperspektive. In Deutschland leben knapp 14.000 ausreisepflichtige Asylbewerber aus Nigeria. Etwa 12.500 sind geduldet, weil sie keine Ausweispapiere haben. Anders als sein Vorgänger Muhammadu Buhari hat sich Präsident Bola Tinubu offen für eine Rückführung gezeigt. Irreguläre Migration müsse zurückgedrängt werden, sagte Scholz in der gemeinsamem Pressekonferenz. Möglich sei das nur in enger Kooperation, etwa durch Migrationsabkommen.
Doris Ogbeifun arbeitet in Benin City zu Migrationsfragen; die Stadt gilt seit Jahrzehnten als Drehkreuz des Menschenhandels. Ogbeifun: “Deutschland ist ein souveräner Staat, der seine Entscheidungen trifft.” Migration sei allerdings auch ein Menschenrecht. “Wenn es in Deutschland Menschen gibt, denen Papiere fehlen, wäre es im Sinne der Humanität gut, ihnen eine zweite Chance zu geben. Sie könnten in die Gesellschaft integriert werden.” Auch seien die Kosten für Abschiebeflüge hoch. Das Geld dafür könne ebenfalls in Integrationsmaßnahmen gesteckt werden.
Zu wenig beachtet würden auch die Gründe für wirtschaftliche Migration. “Es sind die Lebensbedingungen”, sagt Ogbeifun. 2022 schätzte das nationale Statistikbüro NBS die Zahl der Nigerianer in Armut auf 133 Millionen. Dazu trägt wohl auch bei, dass Nigeria der Empfehlung des Internationalen Währungsfonds IFW nachgekommen ist und die Währung Naira abgewertet hat.
“Es muss eine ganzheitliche Lösung geben”, fordert Stanley Achonu, Direktor der nichtstaatlichen Organisation One Nigeria. Dazu gehöre ein robustes und nachhaltiges Wachstum in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit, Sicherheit und Regierungsführung. “Deutschland hat das Potenzial, erhebliche Unterstützung zu leisten, vor allem durch Investitionen in arbeitsplatzintensive Branchen, die eine wichtige Rolle für Wirtschaftswachstum und Verbesserung der Lebensgrundlagen von Millionen nigerianischer Jugendlicher spielen können.”
Wirtschaftsentwicklung und Handel sind auch für Ghana zentral, das zweite Reiseziel des Kanzlers, sagt Burkhardt Hellemann, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Ghana. Das Land mit einer Bevölkerung von knapp 34 Millionen wirbt seit Jahren intensiv um europäische Investoren – und wird im Vergleich zu den Nachbarländern oft als “Musterdemokratie Westafrikas” präsentiert. Doch: “Gerade deutsche Unternehmen sind seit der Intervention des IWF gegenüber Ghana sehr zurückhaltend”, so Hellemann. “Man wartet ab, ob Ghana wirklich auch die finanzpolitischen Anpassungen umsetzt, die mit dem IWF vereinbart wurden.”
Unternehmen mit Sitz in Ghana berichteten zudem von willkürlichen Steuererhöhungen und Nachzahlungen. Hellemann: “Auch die Bekämpfung der Korruption am Beispiel des Zolls in den Häfen greift trotz größtenteils digitalisierter Prozesse nur bedingt.” Immer neue “Schlupflöcher des Geldabzweigens” täten sich auf. “Inwiefern ein Kanzler diese Themen bei seinem Besuch auch benennen kann, bleibt offen. Da die Zahl der westlichen Partner in der Subregion ja eher schwindet, möchte man nicht auch noch Ghana verlieren.”