In den ersten beiden Sitzungen der Frauengruppe sagt die 36-jährige Syrerin noch, alles sei in Ordnung. In der dritten Sitzung verliert sie die Fassung und fängt an zu schreien. Sie sei mit ihren sieben Kindern allein in der Flüchtlingsunterkunft in Frankfurt am Main, erzählt sie. Ihr 60-jähriger Mann, ein syrischer Akademiker, wohne mit seiner anderen Frau, einer 25-Jährigen, und deren acht Kindern in einer Wohnung und besuche sie und die Kinder nur einmal in der Woche.
In der Gruppe gehe es nun darum, der Frau Selbstvertrauen zu vermitteln, berichtet die Sozialarbeiterin und Kindertherapeutin Tahrir Ghanayem. Die meisten der arabischen oder afghanischen Frauen seien es nicht gewohnt, selbst für sich zu sorgen oder ihre Zukunft zu planen. Ghanayem will sie bestärken und hat Erfolg: Die Syrerin, eine Analphabetin, habe ihrem Mann bei seinem Besuch jüngst gesagt, dass sie Deutsch lernen wolle – ein erster Schritt zur Integration. „Sie hilft nicht nur sich“, sagt Ghanayem, „sie kann auch sieben Kinder retten.“
Auch die Männer kommen in Deutschland in eine Identitätskrise, berichtet ihr Mann, der Sozialarbeiter und Psychologe Nadim Ghanayem. Sie erwarteten hier das Paradies, eine Wohnung und Arbeit, und fänden sich stattdessen in einer Gruppenunterkunft und arbeitslos als Bittsteller wieder. Dazu hätten ihre Frauen auf einmal gleiche Rechte und sollten über sich selbst bestimmen können. „Die Männer fühlen sich entmannt“, sagt Nadim Ghanayem. Der Zusammenprall der Kulturen bringe Studien zufolge Depressionen, Aggressionen und Gewalt hervor.
Das Sozialarbeiter-Paar ist ein Glücksfall für drei Flüchtlingsunterkünfte in Frankfurt – ihre Muttersprache ist Arabisch, sie sind Muslime, aufgewachsen zugleich in der arabischen und in der westlichen Kultur, an der Universität ausgebildet und idealistisch motiviert. Sie sind Entwicklungshelfer für Deutschland – aus Beersheba in Israel. Nach einem dreiwöchigen Freiwilligeneinsatz in Berlin im April vergangenen Jahres war für das Paar klar, dass sie sich in Deutschland engagieren wollen.
Sie haben ihre Arbeit und ein Aufbaustudium unterbrochen und sind über die israelische Hilfsorganisation IsraAID im vergangenen Juli nach Frankfurt gekommen. Auch wenn in arabischen Ländern die Israeli als Feinde gälten, sei ihre Herkunft in der Regel kein Problem, sagt Nadim Ghanayem. „Die Flüchtlinge sind glücklich, dass wir arabisch sprechen und sie verstehen“, erklärt Tahrir Ghanayem. „Dann beginnen sie, Vertrauen aufzubauen.“
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Brückenbauer
Es sind nicht allein Krieg und Verlust der Heimat, die ihnen zusetzten. Geflüchtete erleiden in Deutschland häufig auch einen Kulturschock. Israelische Sozialarbeiter helfen, die Kluft zwischen den Kulturen zu überwinden

Thomas Rohnke