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Bis über die Schmerzgrenze hinaus

Statt Mitgefühl nur Hetze und Hass: Wer sich in sozialen Medien bewegt, kann das Gruseln kennenlernen. Wie kann man mit Verrohung und Populismus im Internet umgehen? Langzeit-Erfahrungsbericht von einer, die es jahrelang versucht hat

Ingo Bartussek - stock.adobe.com

UK-Autorin Nicole Schneidmüller-Gaiser ist Diplom-Journalistin und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Evangelischen Kirchenkreis Hattingen-Witten. Und sie ist – privat und beruflich – in sozialen Medien wie facebook und ins­tagram unterwegs. Seit Jahren versucht sie, dem Hass und der Unvernunft, die ihr dort täglich begegnen, etwas entgegenzusetzen. Mit Argumenten. Zuhören. Verständnis. Klarem Bekenntnis zu eigenen Positionen. Am Ende bleibt die Ratlosigkeit: „Die sind gar nicht am Gespräch interessiert. Die wollen einfach nur draufhauen.“ Auf ihrer facebook-Seite fragt sie jetzt: Was kann man dann aber noch tun?

„Soll man mit AfD-Politikern und ihren Anhängern diskutieren?“
„Wie tolerant soll man den Intoleranten gegenüber sein?“
„Ist es legitim, sich von Menschen zu ,trennen‘, die ,Deutschland zuerst‘ denken?“
Als die Populisten das Netz für sich entdeckten, war ich mehrfach auf Veranstaltungen, in denen es um die Frage ging, wie man mit ihnen umgehen soll. Über die Ursachen und die Mechanismen der Verbreitung von Hass, Rassismus, gezielten Falschmeldungen gab es schon vor drei, vier Jahren Studien und wissenschaftliche Aufsätze. Wie das geht, darüber weiß man Bescheid.
Doch was dagegen tun?
Ich habe in den fast neun Jahren, die ich nun aktiv bei Facebook bin, verschiedene Strategien gehabt. Ich habe diskutiert und gestritten bis an die Schmerzgrenze und manchmal auch darüber hinaus. Ich bin in Gruppen eingetreten, in denen Meinungen vertreten wurden, die meiner eigenen diametral entgegenlaufen – und habe versucht, mit Sach-Argumenten, Geduld, manchmal auch mit Ironie und ganz selten mit verbaler Wut dagegen anzuschreiben, dass Ängste geschürt werden, dass aus dem Fehlverhalten Einzelner Ableitungen für ganze Religionen, Kulturen oder Nationalitäten gezogen werden, dass Menschen verunglimpft und entmenschlicht wurden. Ich wurde dafür beschimpft, verunglimpft und bedroht.
Ich war mit Menschen „befreundet“, mit denen ich es vermutlich keinen einzigen Abend in der Kneipe aushalten würde, ohne in Streit zu geraten.
Warum? Weil man mir sagte – weil ich mir sagte –, dass man ja nicht in einer Blase leben darf.
Aber heute frage ich mich ernsthaft: Warum eigentlich nicht?
In meinem realen, kleinen Leben bin ich mit Menschen zusammen, die mir gut tun und deren Lebenseinstellung in den zentralen Fragen zu meiner eigenen passt. Ich kann es aushalten, dass andere gerne shoppen oder sich für High-Tech interessieren, dass sie Bier lieber als Wein trinken und sogar, dass sie BVB-Fans sind ;-). Und ich kann es auch aushalten, dass jemand politisch anders wählt als ich – solange die Partei, die er oder sie gut findet, eine demokratische ist, eine, die die Werte meiner kleinen Welt nicht in Frage stellt: Meinungs- und Pressefreiheit, Gleichberechtigung, Religionsfreiheit. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Befreundet sein mit Menschen ohne Mitleid?

Aber niemals – niemals – wäre ich im echten Leben mit jemandem befreundet, dem es an Empathie mangelt. Mit jemandem, der findet, dass man Menschen ertrinken lassen sollte. Mit jemandem, der gewalttätig ist. Oder mit jemandem, der nicht einem Menschen in Not – ob verschuldet oder unverschuldet – helfen würde.
Meine realen Freundinnen und Freunde sind so: Hilfsbereit, zu Gefühlen und Mitleid fähig, kurz: gut.
Warum also sollte ich bei Facebook anders agieren? Bereichert es mein Leben, dass ich auch mal „die andere Seite“ kennenlerne? Nein. Tut es mir gut, all diesen Hass zu lesen? Doppel-Nein. Kann ich irgendjemanden überzeugen? Vermutlich nicht.
Also heute mal die Gretchen-Frage: Sag, wie hältst du es – mit Menschen, die populistisches oder rassistisches Zeug schreiben, aber von sich selber glauben, keine Populisten zu sein?