Sie war “nur” Stenotypistin im Büro des KZ-Lagerkommandanten. Jetzt bestätigt der Bundesgerichtshof die Verurteilung von Irmgard F. wegen Beihilfe zum Massenmord. Für Schoah-Überlebende ein “enorm wichtiges” Urteil.
Die Verurteilung einer ehemaligen KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zu mehrtausendfachem Mord ist rechtskräftig. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in einem Grundsatzurteil entschieden. Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig bestätigte ein Urteil des Landgerichts Itzehoe von 2022, das die heute 99-jährige Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen im Konzentrationslager Stutthof zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt hatte.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, begrüßte das Urteil. Die Angeklagte sei “eine bewusste Gehilfin der nationalsozialistischen Mordmaschinerie” gewesen und “verantwortlich für die Ermordung tausender Menschen”. Für Schoah-Überlebende sei es “enorm wichtig, dass eine späte Form der Gerechtigkeit versucht wird”, sagte Schuster in Berlin. Das Rechtssystem der Bundesrepublik habe eine klare Botschaft gesendet: “Auch fast 80 Jahre nach der Schoa darf kein Schlussstrich unter die NS-Verbrechen gezogen werden. Mord verjährt nicht – weder juristisch noch moralisch.”
Irmgard F. war Stenotypistin im Büro des Lagerkommandanten von Stutthof nahe Danzig (Gdansk). Sie organisierte zwischen Juni 1943 und April 1945 den Schriftverkehr des Lagerkommandanten. Sie habe ihn “als zuverlässige und gehorsame Untergebene bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde unterstützt, die das Landgericht ihr zugerechnet hat”, befand der BGH. “Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin war für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung.” Die Angeklagte war damals 18 beziehungsweise 19 Jahre alt, darum wurde sie nach Jugendstrafrecht verurteilt. Ihre Revision wurde nun verworfen.
Insgesamt wurden mehr als 60.000 Menschen, vor allem Juden, in Stutthof ermordet. Das Revisionsverfahren vor dem BGH galt als einer der letzten KZ-Prozesse vor einem deutschen Gericht.
Schuster sagte weiter, das BGH-Urteil gegen die heute 99 Jahre alte Angeklagte sei richtig. “Es geht nicht darum, sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter zu stecken. Es geht darum, dass sich eine Täterin für ihre Taten verantworten und Worte finden muss, für das, was geschehen ist und für das, woran sie beteiligt war.” Umso schwerer wiege “das fehlende Schuldeingeständnis der Täterin”. Es stehe beispielhaft für die überwiegende Mehrheit der NS-Täter und Täterinnen, “die unbehelligt ihr Leben fortführen konnten, ohne strafrechtliche Konsequenzen für ihre grausamen Verbrechen zu fürchten”.
Das Internationale Auschwitz Komitee hatte vor dem Urteil auf ein “unverkennbares Zeichen der Gerechtigkeit” gehofft. Für Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager sei die BGH-Entscheidung nicht nur von hoher symbolischer Bedeutung, erklärte der Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner. Angesichts der wenigen Täter, die überhaupt in Deutschland vor Gericht gestanden hätten, komme gerade diesem Urteil für sie eine besondere Bedeutung zu. Auch mit Blick auf viele andere Täterinnen und Täter, “die im Mordapparat der Konzentrationslager Mitverantwortung getragen und nie einen deutschen Gerichtssaal von innen gesehen haben”, so Heubner. “Sie konnten stattdessen in Ruhe ihre Rente genießen.”
Der Psychologe Wolfgang Hegener sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin: “Die Schuld, um die es hier geht, verjährt nicht, sie ist nicht delegierbar und darf nicht relativiert werden.” Dies sei von großer Bedeutung für die Gesellschaft.