Sie sind jetzt seit etwa vier Wochen als Pfarrerin in der Polizeiseelsorge tätig. Wie waren Ihre ersten Eindrücke?
Corinna Zisselberger: Erstmal wurde und werde ich von vielen Menschen in der Polizei mit offenen Herzen und Türen empfangen. Im Vorfeld und auch jetzt am Beginn wird mit viel Hingabe einiges für mich organisiert, damit ich gut in dieser riesigen Behörde mit 27.000 Beschäftigten an vielen Standorten im ganzen Stadtgebiet ankommen kann. Ich spüre, dass es einen großen Vertrauensvorschuss für die Polizeipfarrerin gibt. Eine Person, die von außen kommt, Zeit und Verschwiegenheit sowie formal auch das Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht mitbringt – das schätzen Polizistinnen und Polizisten.
Wie war der Einstieg für Sie? Welche Herausforderungen oder Überraschungen haben Sie in dieser kurzen Zeit erlebt?
Mein Einstieg war sehr besonders mit einem intensiven Seminar, bei dem ich gleich tief in die Polizeikultur eintauchen konnte. Ich bin ja erstmal eine Lernende und sauge alles auf. Daher möchte ich zu Beginn viele unterschiedliche Einsätze begleiten und auf Dienststellen hospitieren – damit ich am eigenen Leib erfahre, wie die Polizei arbeitet und was Polizistinnen und Polizisten in ihrem Dienst erleben.
Eine Herausforderung wird es sicher sein, in der großen und vielfältigen Behörde so präsent zu sein, dass das Angebot der Polizeiseelsorge von möglichst vielen wahrgenommen und auch in Anspruch genommen werden kann. Seelsorge richtet sich ja nicht nur an Gläubige, sondern an alle. Das ist aber nicht überall bekannt und vielleicht gibt es auch ein paar Berührungsängste. Genau wie im restlichen, zivilen Berlin ist eben nur eine Minderheit Kirchenmitglied. Eine weitere Herausforderung sind die vielen Abkürzungen im Polizeialltag, die ich noch nicht alle drauf habe. Der Dienststellenleiter, wo ich mein Büro habe, sagte mir: Die Berliner Polizei hat einen AKFi – einen Abkürzungsfimmel. Er hat recht.
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Wann kommen Polizistinnen und Polizisten und Zöllnerinnen und Zöllner auf Sie zu? Welche Gespräche haben Sie bisher geführt, und was beschäftigt die Menschen?
Ich habe bisher sowohl Gespräche geführt, die sich spontan ergeben haben, weil ich auf Dienststellen war und mit den Leuten dort ins Gespräch kam, als auch „verabredete“ Gespräche mit einer konkreten Anfrage. Etwas, was viele Polizistinnen und Polizisten beschäftigt, ist die extrem hohe Arbeitsbelastung und die fehlende finanzielle Ausstattung und Unterstützung durch die Politik. Die Aufgaben nehmen immer weiter zu, die Bezahlung ist aber im Vergleich zu den Bundesbehörden geringer. Daher findet sich auch schwer Nachwuchs.
Dann sind es individuelle Erlebnisse im Dienst, zum Beispiel Extremsituationen mit Gewalterfahrung oder sogar Tod. Am schlimmsten, sagen alle, ist es, wenn Kinder involviert sind. Es können aber auch private Krisen sein. Für alle Sorgen, aber auch die Freuden kann die Seelsorge Anlaufstelle sein. Und wer möchte, findet natürlich auch spirituelle Angebote.
Was möchten Sie in Ihrer neuen Rolle erreichen? Welche Unterstützung wünschen Sie sich von Kirche und Gesellschaft?
Meine Arbeit wird sich auf drei Bereiche konzentrieren: Zum einen Prävention, darunter fallen Angebote wie Retreats oder andere Seminare. Dann werde ich im Bereich Bildung tätig sein, zunächst an der Polizeiakademie, der Ausbildungsstätte für den mittleren Dienst. Und der dritte, größte Bereich ist die eigentliche Seelsorge, also Einzelgespräche, Dienststellenbesuche, Einsatzbegleitung und Einsatznachsorge nach belastenden Einsätzen. Hier werde ich in einem multiprofessionellen Team arbeiten, da die Polizei in den letzten Jahren gute Angebote und Strukturen zur Begleitung ihrer Beschäftigten in und nach Stresssituationen aufgebaut hat. Ich habe auch einen katholischen Kollegen, mit dem ich punktuell vertrauensvoll zusammenarbeite, zum Beispiel bei den Vereidigungsgottesdiensten.
Mein Wunsch ist es, dass die Polizistinnen und Polizisten Seelsorge als ein hilfreiches Angebot erleben. Dafür braucht es von Seiten der Kirche den Willen, Stellen wie in der Polizeiseelsorge, aber auch in anderen Spezialseelsorgebereichen, weiterhin zu finanzieren – gerade in Zeiten schwindender Kirchensteuermittel. Meine kurze Erfahrung der ersten Wochen hat mir schon gezeigt, wie viel Segensreiches dort geschehen kann.
Das Interview ist zuerst auf ekbo.de erschienen.