Die Landessynodalen setzen ein klares Zeichen für soziale Gerechtigkeit. Die Synode fordert die Politik auf, stärker gegen Armut zu kämpfen.
Von Constance Bürgerund Sibylle Sterzik
Was tun wir, um Menschen gerecht zu werden? Kennen wir den Kiez vor unserer Kirchentür?, fragt Diakoniepräsident Ulrich Lilie selbstkritisch in seiner Eröffnungspredigt auf der Landessynode. Warum sollen sich Christinnen und Christen für soziale Gerechtigkeit engagieren? Eine Antwort: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde. Denn Gottes Wille für seine Geschöpfe heißt: „Nie wieder Durst für Körper, Seele und Geist.“ Doch was bedeutet es etwa für Pflegeheime, dass unser Gott ein Gott ist, der alle Tränen abwischt?, so Lilie. „Alle geben sich hier große Mühe. Aber zum Zuhören und zum Reden, dafür hat keiner mehr Zeit“, erzählte ihm Maria Stephan, eine 100-Jährige aus einem Leipziger Pflegeheim. Segen weitergeben war das Motto im Eröffnungsgottesdienst in der Berlin-Reinickendorfer Segensgemeinde am vergangenen Mittwoch. Auch das Laib und Seele-Team der Gemeinde nimmt das jeden Mittwoch wörtlich und verteilt an 300 Gäste Lebensmittel. Ein Segen für den Kiez. An diesem Abend gingen auch die Kirchenparlamentarier mit einem Beutel nach Hause, allerdings gefüllt mit Segen, wie Pfarrerin Janet Berchner sagt, und genäht aus Stoffresten alter Kleidung. Im Gegenzug füllen sie die Kasse der Gemeinde mit einer Kollekte in Höhe von 730,12 Euro zugunsten von „Laib und Seele“.
Erklärung zur gesellschaftlichen Lage notwendigIn seinem Bischofswort regte Bischof Markus Dröge an, „eine eigene theologische Erklärung für die Situation unserer Kirche in der aktuellen gesellschaftlichen Lage“ zu formulieren – insbesondere was den Umgang mit rechtspopulistischen Kräften betrifft. Superintendent Thomas Seibt berichtete, dass in einer seiner Gemeinden nach dem Erntedankgottesdienst Mitglieder der Gruppe „Christen in der AfD“ Flyer verteilten. Eine Gemeindeglied wandte sich an ihn, wie die Gemeinde damit umgehen soll. Eine theologische Erklärung sei dringend. Diese soll auf der Frühjahrssynode im April 2019 präsentiert werden. Nachdem die Kohlekommission in der vergangenen Woche ihren Zwischenbericht vorstellte, bekräftigt die Landessynode ihr Anliegen, dass der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung „zügig weiter vorangetrieben werden muss“. Sie betont, dass dies nur gelingen kann, wenn es für alle Menschen in den betroffenen Regionen gute und tragfähige Perspektiven gebe. Ein konkretes Datum für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung sei unverzichtbar. „Wir wollen ein Zeichen der Ermutigung mitgeben“, sagte Claudia Ludwig, Vorsitzende des Synodalen Ausschusses Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Die 114 Synodalen der Landeskirche setzten in der vergangenen Woche auf ihrer Herbsttagung in der St. Bartholomäuskirche in Berlin-Friedrichshain mehrere Zeichen der Ermutigung – auch zu ihrem Schwerpunktthema „Gesellschaftlicher Frieden – reich, arm, raus!?“.„Armut hat viele Gesichter, aber jedes verdient, dass man sich damit beschäftigt und es ernstnimmt“, betonte der Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge in seinem Vortrag. In dem Ausbau des Niedriglohnsektors, dem Sinken des Rentenniveaus, den Folgen von Hartz IV und einer Steuerpolitik, die Ungleichheit schafft, sieht er die Ursachen für die prekäre Situation vieler Menschen. Im Blick auf die Kirchen sagte er auf der Pressekonferenz, sie seien zurückhaltender geworden, und würden sich bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit nicht mehr so lautstark zu Wort melden wie früher. „Ich wünsche mir, dass die Kirche stärker Partei ergreift für die Armen, dass sie die Stimme erhebt, um die Politiker zu drängen, damit sie der weiteren Ausdehnung der Kluft von Arm und Reich entgegenwirken“, sagt er. Armut bedeute rechtliche Willkür, Hunger als ständigen Begleiter, Abhängigkeit, politische Rechtlosigkeit, führte Theologieprofessorin Luzia Sutter Rehmann aus Basel in ihrem Vortrag aus. „Wer Menschen mit Füßen tritt, beschädigt sich selbst. Zusammen menschlicher zu werden, ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.“ Alle Menschen bildeten den „Menschheitskörper“, der aus Gottes Hand gebildet sei. „Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit.“Die Synode fordert eine gerechte Umverteilung von Reichtum und eine gesellschaftliche Verantwortung aller – auch von der Kirche selbst. „Als Arbeitgeber fangen wir bei uns selber an“, heißt es. Armut bedeute, dass Menschen nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. „Entschieden gegen Armut zu kämpfen, heißt für uns auch, demokratisches Denken und Handeln zu stärken.“ Darüber hinaus unterstützt die Landessynode Forderungen an die Bundes- und Landespolitik, unter anderem die Einführung einer Kindergrundsicherung und die bessere Unterstützung Alleinerziehender. Zum Thema Wohnungslosigkeit soll auf der Frühjahrssynode diskutiert werden, mit welcher sozialen Verantwortung Kirchengemeinden ihre eigenen Immobilen verwalten. „Eigentum verpflichtet“, sagte Präses Sigrun Neuwerth.
Für einen verantwortlichen Umgang mit dem KirchenasylDes Weiteren beschloss die Synode eine Erklärung zum Kirchenasyl. Die EKD müsse mit deutlicherer Stimme der Politik gegenübertreten. Die Synode schließt sich der Erklärung „Für einen verantwortlichen Umgang mit dem Kirchenasyl“ an, die im September von fünf anderen Landeskirchen unterzeichnet worden ist. Die Erklärung betont: „Kirchenasyl ist stets ultima ratio und wird von Kirchengemeinden verantwortungsvoll und nach sehr sorgfältiger Prüfung im Einzelfall gewährt, um schwerwiegende humanitäre Härten und drohende Verletzung von elementaren Grund- und Menschenrechtsverletzungen abzuwenden.“ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird gebeten, sich „konsequent an den Belangen der Humanität im Einzelfall zu orientieren“. Die Landessynodalen diskutierten verschiedene Anträge. Sie stimmten dem Wechsel der Heilig-Geist-Kirchengemeinde Werder (Havel) vom Kirchenkreis Potsdam in den Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg zum 1. Januar 2019 zu. Der Antrag aus der Kirchengemeinde Sonnenberg im Havelland wurde nicht angenommen: Auf Friedhöfen der evangelischen Kirche wird es auch künftig keine anonymen Erdbestattungen geben. Außerdem wurde der weiteren Finanzierung des Landeskirchenweiten Intranets zugestimmt. Das System erfülle die Erwartungen, die mit der Einführung verbunden waren. Der Nachtragshaushalt für 2018 wurde beschlossen. Das Haushaltsvolumen beträgt nun rund 406,4 Millionen Euro. Vorgesehen waren zunächst rund 393 Millionen Euro.Mit den Worten „Sie merken, wie viel Dampf auf dem Kessel ist“, fasste AKD-Direktor Matthias Spenn die Diskussionen um den Antrag der Berliner Kirchengemeinde Marzahn/Nord zusammen. Dieser schlägt vor, dass Ehrenamtliche eine pauschale Aufwandsentschädigung erhalten. Mehrere Synodale unterstützten den Antrag: Landesjugendpfarrerin Sarah Ortmanns sieht besonders Bedarf bei jungen Ehrenamtlichen – oft können sich nur noch gut situierte Studierende das Ehrenamt leisten. „Allen Menschen muss im Grundsatz das Ehrenamt möglich sein“, so Oltmanns. Superintendent Frank Schürer-Behrmann begrüßte den Vorschlag als Möglichkeit eines erweiterten Dankeschöns. Superintendent Uwe Simon kritisiert: Wenn der Zeitaufwand entschädigt wird, dann handelt es sich um einen Lohnersatz. Die Kirchenleitung wird sich der Diskussion nun annehmen.Schließlich bittet die Landessynode Politik und Schule dafür Sorge zu tragen, dass die religiöse Bildung an den Schulen in Berlin und Brandenburg gestärkt wird. In Berlin sollte nach brandenburgischem Vorbild eine Befreiung vom Pflichtfach Ethik zugunsten des Religionsunterrichts möglich gemacht werden. Außerdem sollten Noten im Religionsunterricht künftig auf den Zeugnissen genannt werden. Bei den Personalkosten für Religionslehrer müssten die Länder eine bessere Refinanzierung anbieten. Auf sexuellen Missbrauch ging Bischof Dröge in seinem Wort und auf der Pressekonferenz ein. „Wir brauchen ein klares Präventionskonzept und eine Untersuchung der Vergangenheit.“ Wenn Schutzbefohlene missbraucht würden, dann stehe das gegen „unseren Auftrag und unsere Botschaft“. Auf EKD-Ebene werde eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet. Die Kirchenkonferenz habe einen Beauftragtenrat mit fünf kirchenleitenden Personen als Ansprechpartner berufen.