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30 Jahre Kalender “Der Andere Advent”

Vor Weihnachten hängt er in vielen Haushalten: der Adventskalender. Ein Verein hat vor 30 Jahren eine besondere Variante entwickelt. “Der Andere Advent” beinhaltet zwar keine Schokolade, hat aber dennoch etwas zu bieten.

Klassisch mit Schokolade, mit Spielzeug, Bier oder sogar Erotik-Artikeln: Adventskalender gibt es inzwischen in den verschiedensten Varianten. Im Vordergrund stehen immer häufiger kommerzielle Produkte. Während die ursprüngliche Idee – die Vorbereitung auf Weihnachten – in den Hintergrund rückt. Der Kalender “Der Andere Advent”, der von einem christlichen Verein in Hamburg herausgegeben wird, möchte dem entgegenwirken. Mit meditativen Texten und Bildern will er Menschen auf der Suche nach Gott und ihrem Glauben unterstützen – ohne dabei zu fromm und zu religiös zu wirken. Das Konzept ist überraschend erfolgreich: In diesem Jahr erscheint der “Andere Advent” zum 30. Mal – mit einer Auflage von 650.000 Exemplaren.

“Wir wollen den einzelnen Menschen ansprechen und berühren”, sagt Chefredakteurin Iris Macke. Vom Vorabend des ersten Advent bis zum Dreikönigstag am 6. Januar bietet der Kalender täglich ein Bild und einen Text. “Wir laden die Leser ein, sich Zeit zu nehmen, um beides bewusst zu betrachten”, so die Journalistin und Theologin. Das Geheimnis des Kalenders sei die Mischung. “Texte zeitgenössischer Künstler und Autoren wie Herbert Grönemeyer und Mariana Leky stehen neben denen großer Theologen wie Theresa von Avila und Dietrich Bonhoeffer.”

Die Geschichte der Publikation begann 1995. Der evangelische Theologe und Journalist Hinrich C. G. Westphal suchte ein Gegenpol zu der häufig von Stress und Konsum geprägten Adventszeit. Gemeinsam mit weiteren Mitstreitern ersann er die Idee des “Anderen Advents”. Er ließ 4.000 Exemplare des Kalenders drucken und verschenken. Zwei Jahre später war er bereits so erfolgreich, dass Westphal einen ökumenischen Verein gründete – unter dem programmatischen Namen “Andere Zeiten”. Mittlerweile arbeiten 25 feste Mitarbeiter an den verschiedenen Initiativen zum Kirchenjahr; der inzwischen kostenpflichtige Kalender ist nur eine davon.

Die Situation hat sich laut Macke seit dem Erscheinen des ersten Kalenders gewandelt. “Die Menschen rennen heute nicht mehr in die Kaufhäuser, sondern shoppen online.” Der Stress sei nicht mehr das Hauptproblem im Advent. Vielmehr sei es eine Zeit, in der viele Fragen laut würden. “Was trägt mich? Worauf gehe ich zu? Was kann mich stärken?” Die Redaktion reagiere darauf vor allem mit mutmachenden Impulsen.

Eine konkrete Zielgruppe gibt es der Chefredakteurin zufolge nicht. Die Erfahrung zeige, dass der Kalender vor allem Menschen anspreche, die den Kirchen nur lose verbunden sind. “Wir sind immer wieder überrascht, wen der Kalender alles erreicht und was er auslöst.” Zwei Frauen aus Deutschland und Australien lesen ihn laut Macke jedes Jahr parallel und tauschen sich per WhatsApp über die Texte aus. “In der Adventszeit haben sie daher den intensivsten Kontakt des Jahres.” Ein Mann und eine Frau haben sich in einem Internetforum von “Andere Zeiten” kennengelernt und anschließend geheiratet. “Dafür sind wir fast noch dankbarer als für steigende Auflagen.”

“Kein anderes periodisch erscheinendes konfessionelles Printmedium in Deutschland erzielt eine solch große Reichweite”, sagt der Kommunikationswissenschaftler Christian Klenk von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Der große Erfolg des Kalenders sei ein guter Beleg der These, dass die Religiosität – trotz Rückgang der Kirchenbindung – konstant sei. Nach wie vor hätten viele Menschen eine Sehnsucht nach Spiritualität.

In diesem Jahr steht der Kalender unter dem Motto “Mache dich auf und werde Licht”. Es gibt Texte der Schriftsteller Helga Schubert und Martin Walser, des mittelalterlichen Theologen Meister Eckhart sowie des Philosophen und Religionskritikers Jean-Paul Sartre. Das Titelbild zeigt ein Segelboot zwischen Eisbergen – vor einem rot-gold schimmernden Himmel. “Fasziniert hat uns an diesem Bild die Vielfalt von Eindrücken wie die Weite und die klare Sicht, die dunkle Wolken nicht leugnet”, schreibt die Redaktion im Vorwort. “Wir finden darin vieles wieder, was uns in den Advents- und Weihnachtswochen berührt.”