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Zum Tag der Poesie – Experte: Gedichte umgeben uns permanent

Ein Lied von Taylor Swift oder ein paar Zeilen von Goethe? Nach Einschätzung von Experten ist Lyrik weit weniger elitär als oft behauptet: Sie sei auch im Alltag an vielen Stellen vorhanden – vor allem in Songtexten.

Gedichte lesen oder selbst dichten – nach Einschätzung eines Experten ist das nicht so exotisch wie oft behauptet. “Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie viel mehr mit Lyrik zu tun haben, als sie glauben”, sagte Literaturprofessor Frieder von Ammon der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in München mit Blick auf den Tag der Poesie am Freitag.

“Songtexte etwa sind auch eine Form von Lyrik, sogar eine viel ältere Gedichtform als die, die uns in Büchern begegnet. Davon sind wir tagein und tagaus, nahezu permanent umgeben. Wenn man das mit einberechnet, ist Lyrik alles andere als ein Nischenphänomen”, so von Ammon.

Für viele Menschen hätten Gedichte auch einen ganz lebenspraktischen Nutzen. “Sie können Trost und Halt geben – für den Moment oder fürs Leben”, so der Leiter des Lyrik Kabinetts in München, Holger Pils. “Häufig werden Dinge ausgedrückt, die einen ansprechen, weil man sich mit ihnen identifizieren kann. Etwas, das man gesehen oder gefühlt hat, aber sprachlich noch nie so denken konnte.” Gedichte könnten viel leisten. “Aber das Schöne ist: Sie müssen es nicht.”

Dass auch Künstliche Intelligenz (KI) Gedichte fabrizieren könne, sehe er eher entspannt. “Die KI kann vielleicht die Erwartungen erfüllen, die man landläufig an ein Gedicht hat. Aber die interessanten Gedichte leben ja eigentlich vom Nicht-Erwartbaren. Sie erfüllen kein Muster, reiben sich an Regeln und brechen sie”, so der Literaturwissenschaftler. KI sei “automatisiertes Sprechen und Lyrik eigentlich das Gegenteil – entautomatisiertes Sprechen.”

Im Grunde sei ein Gedicht, das von KI kreiert wurde, nichts Neues, erklärte von Ammon: “Schon in früheren Jahrhunderten hat man das Dichten delegiert an sogenannte Mietpoeten, denen man dafür Geld bezahlt hat, dass sie Gedichte zu bestimmten Anlässen schreiben. Wahrscheinlich wird die KI auch heutzutage bei Liebesgedichten rege genutzt.”

Grundsätzlich seien Gedichte thematisch völlig offen. Es gehe nicht nur um ernste Themen oder um Weltschmerz, so von Ammon. “Lyrik kann auch sehr viel Spaß machen.” Das Besondere an Gedichten sei für ihn, dass sie große Zeiträume überdauern könnten. “Verse, die vor 3.000 Jahren in einem anderen Teil der Welt gedichtet worden sind, können noch heutzutage auf offene Ohren und Herzen stoßen.”

Allerdings seien gereimte Verse – ob in Gedichten oder Songtexten – manchmal auch auf unerfreuliche Weise eingängig. “‘Atemlos durch die Nacht’ – das ist ein Schlager, den ich hasse. Aber ich muss zugeben, dass der Refrain sehr einprägsam formuliert ist.”