Sie heißen „Der Reiher“, „Der schlafende Diamantsitz“, „das Kuhge-sicht“ oder „Sonnengruß“ – Körperübungen wie diese gehören neben Atemtechniken und Meditationen zum Yoga. Früher machte man sich über die vermeintlichen Verrenkungen der Yoga-Praktizierenden mitunter lustig, sortierte sie in die Esoterik- und Öko-Ecke. Aber selbst in manchen Klöstern und kirchlichen Bildungshäusern sind Skepsis bis Ablehnung einer Offenheit für Yoga-Angebote gewichen.
Der Begriff Yoga stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Vereinigung. Unter anderem über die sogenannten Asahas – Körperübungen – wird die Verbindung des individuellen mit dem „universellen“ Bewusstsein angestrebt. Daneben soll eine vollkommene Harmonie von Körper, Geist und Seele erreicht werden. Der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDY) definiert Yoga als „ganzheitlichen Übungsweg“. Dieser verbinde alle Dimensionen menschlichen Seins und habe „weitreichende Wirkungen sowohl auf der körperlichen als auch auf der emotionalen und geistig-spirituellen Ebene“.
Wie viele Praktizierende es hierzulande inzwischen sind, kann selbst der BDY nicht genau sagen. Einer Befragung aus dem Jahr 2014 zufolge sind es 3,3 Prozent der Deutschen. Sie geben an, sich nach dem Üben ausgeglichener, konzentrierter und körperlich wohler zu fühlen. Inzwischen gibt es viele Wege, mit dem indischen Übungsweg in Kontakt zu kommen – über Volkshochschulkurse, Sportvereine oder Schulen.
„Yoga hat sein Image verändert“, beobachtet Yogalehrerin Jessica Fink, Sprecherin des BDY, in dem über 4600 Yoga-Profis organisiert sind. Früher sei Yoga „etwas Fremdes aus Indien“ gewesen, inzwischen wisse fast jeder aus eigener Erfahrung oder der von Bekannten, dass die Übungen einen gesundheitlichen Nutzen hätten: „Heute suchen viele im hektischen Alltag eine Kraftquelle – und finden sie im Yoga“, erklärt Fink.
Und die Industrie zieht mit – um Yoga-Zubehör wie Matten, Outfit und Ernährung ist ein eigener Markt entstanden; selbst Discounter haben inzwischen vorübergehend Yoga-Equipment im Sortiment. Auch der Buchmarkt ist voll von seriösen bis eher bunten Titeln: Yoga für Kinder, Schwangere und Sportler sind ebenso im Verlagsprogramm wie Yoga mit Hund (Doga). „Schön, dass Yoga dadurch bekannter wird und es für jeden ein passendes Angebot gibt“, findet BDY-Sprecherin Fink.
Zugleich weist sie auf Qualitätsunterschiede hin. „Jeder darf sich Yoga-Lehrer nennen“, dies sei kein geschützter Begriff. Fink rät Einsteigern, sich zu erkundigen, ob der Anbieter eine entsprechende Ausbildung von durchgehend mindestens zwei Jahren absolviert hat. Für Yoga-Anfänger reiche ein Kurs von acht Einheiten. Die positive Wirkung entfalte sich am besten, wenn Yoga regelmäßig über mehrere Monate oder Jahre praktiziert werde. Aber schon eine feste Übungsstunde pro Woche zeige Wirkung, weiß die Expertin.
Dabei sollte man sich vorher klar sein, was man überwiegend vom Yoga erwartet: Sucht man eher eine Stärkung des Bewegungsapparates und damit körperlich fordernde Übungen oder lieber Entspannung und Meditation? Wer allein aus körperlichen Gründen Yoga praktiziere, befasse sich oft weniger mit der spirituellen Wirkung der Übungen – der „Selbsterfahrung, sich mit dem großen Ganzen verbunden zu füh-len“, so Fink.
Damit beschäftigt sich unter anderen auch Yoga-Lehrerin Patricia Thielemann. Sie beobachtet bei zahlreichen Einsteigern „eine Sehnsucht nach Anbindung“ und „leib-haftigen Erlebnissen“, schreibt die Buchautorin („Spirit Yoga“), selbst Mitglied im BDY. Menschen wollten „sich zu Hause fühlen in der Welt und bei sich selbst ankommen“. Gerade in Zeiten von sozialen Medien und schwindenden äußeren Verlässlichkeiten suchten Menschen „den tieferen Sinn und den nötigen Halt“ in sich selbst. Praktizierende könnten über die Übungen einen „beseelten Zustand“ und das Gefühl der „Anbindung“ erleben. „Es ist eine Art körperlich erfahrene Offenbarung“, beschreibt Thielemann die Wirkung.
Die Yoga-Lehrerin sieht darin keine Konkurrenz zum christlichen Glauben; vielmehr wünscht sie sich, „Yoga mit den Wurzeln unserer christlichen Glaubenstradition zu verbinden“ und nicht das Heil im Exotischen zu suchen. Das von ihr aus verschiedenen Yoga-Traditionen für die westliche Kultur weiterentwickelte Spirit Yoga will eine spirituelle Verbindung zur jeweiligen Lebenssituation schaffen. Thielemann ist überzeugt, dass Yoga Menschen den nötigen Halt geben kann, ihren Alltag mit all seinen Aufs und Abs zu meistern.
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Yoga als „Kraftquelle im Alltag“
Sich gesünder ernähren, achtsamer zu sein, sich mehr bewegen – in diesem Kontext beginnen immer mehr Deutsche mit Yoga, Tendenz steigend. Yoga kann sowohl unter Fitness-Aspekten als auch mit religiösem Hintergrund praktiziert werden

© epd-bild / Jens Schulze