Der evangelische Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer gilt als wortgewaltiger Einmischer und Mahner. Die mitteldeutsche Landesbischöfin Ilse Junkermann sagte einmal über ihn: „Die Freiheit der Gedanken und der Rede, für die er jahrzehntelang gekämpft hat, sind für ihn keine Theorie.“ Die von ihm begründete Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ war 1983 spektakulärer Höhepunkt der Friedensbewegung in der DDR und machte ihn international bekannt. Aber auch im wiedervereinigten Deutschland erhob der streitbare Mann klarer Worte weiter seine Stimme in Kirche und Politik – bis heute. Nun feiert Friedrich Schorlemmer seinen 75. Geburtstag.
Im Pfarrhaus aufgewachsen
Als Sohn eines Pfarrers wurde er am 16. Mai 1944 im brandenburgischen Wittenberge geboren und wuchs im Pfarrhaus von Werben in der Altmark auf. Das DDR-Regime verweigerte ihm den Zugang zur Erweiterten Oberschule. So absolvierte er 1962 sein Abitur an der Volkshochschule, der Abendschule im DDR-Bildungssystem, und studierte im Anschluss evangelische Theologie in Halle/Saale.
Es folgten Stationen als Jugend- und Studentenpfarrer in Merseburg, als Dozent am Predigerseminar in Wittenberg und Pfarrer an der dortigen Schlosskirche, wo Martin Luther bestattet ist. Im September 1989 gehörte Schorlemmer wie sein Pfarrerkollege Rainer Eppelmann zu den Mitbegründern des „Demokratischen Aufbruches“, trat aber wenige Monate danach, als sich die Partei in den Wendewirren von linken Positionen abkehrte, wieder aus und später in die SPD ein. Von 1992 bis 2007 war Schorlemmer Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in der Lutherstadt Wittenberg, wo er bis heute wohnt.
Schorlemmer hielt immer die biblische Version einer Welt hoch, in der Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden und kein Volk mehr Krieg führt. Eindrucksvoll setzte er 1983 beim Evangelischen Kirchentag in Wittenberg diese Vision mit einer „Schmiedeliturgie“ ins Bild, bei der ein glühendes Schwert auf einem Amboss zu einer stilisierten Pflugschar umgestaltet wurde. Später gehörte Schorlemmer zu den Gegnern des Militäreinsatzes im Afghanistankrieg ab 2001 und des Irakkriegs ab 2003. Dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac trat er 2009 bei.
Als Schorlemmer 1993 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, heißt es in der Begründung, er habe „integer in der DDR gelebt“ und kämpfe „heute für die Beseitigung neuer innerer Mauern mit einer Sprache, die von Versöhnungsbereitschaft getragen ist“. Beredtes Beispiel dafür ist auch das Buch, das er 2015 zusammen mit dem früheren SED-Mitglied und späteren Linken-Politiker Gregor Gysi geschrieben hat: „Was bleiben wird: Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft“. Mit seinem rhetorischen Talent meldete Schorlemmer sich im Ukraine-Konflikt ebenso zu Wort wie in der Debatte um die Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde.
Ermutigen statt verstummen
In der Flüchtlingsfrage mahnt Schorlemmer immer wieder solidarische Lösungen an. Mit Sorge verfolgt er die Entwicklung der AfD und sieht die Demokratie dadurch „auf dem Prüfstand“. Eindringlich mahnte er: „Ich glaube, wir sollten nicht über jedes Stöckchen, das die AfD hinhält, springen, sollten uns von dem Hass nicht anstecken lassen und durchschaubar machen, mit welchen Winkelzügen die AfD versucht, das parlamentarische System auszuhebeln.“ Die rechtspopulistische Partei nutze den Frust vieler Wähler, so der Theologe. Man dürfe diese Menschen deswegen aber nicht diffamieren, sondern müsse verstehen, warum sie so irrational reagierten.
Auch seine Kirche ruft er immer wieder eindringlich zur kritischen Selbstreflexion auf. Aufmerksamkeit erregte 2017 die Streitschrift „Reformation in der Krise“, in der er zusammen mit dem früheren Leipziger Thomaskirchen-Pfarrer Christian Wolff eine ernüchternde Bilanz des Reformations-Gedenkjahrs zog. „Es ist leider kaum etwas erkennbar, was mir Mut macht, dass Kirche sich wieder hinwendet zum Alltag der Menschen oder die Gemeinden vor Ort stärkt“, mahnte Schorlemmer. Er verstand die Kritik zugleich als Ansporn zum konstruktiven Weiterdenken über die Zukunft der Kirche: „Wir wollen ermutigen statt verstummend zu resignieren.“