Jugendliche können sich heute ein Leben ohne Internet und Smartphone kaum mehr vorstellen. Doch Ärzte und Eltern warnen vor negativen Folgen wie Depression oder Sucht. Das Wissen dazu ist allerdings gering.
Soziale Medien sind aus dem Leben vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Schätzungen zufolge nutzen aktuell zwischen viereinhalb und fünf Milliarden Menschen soziale Medien, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene bewegen sich auf Instagram, Tiktok und Co. In Deutschland sind laut JIM-Studie 2023 Jugendliche durchschnittlich 224 Minuten täglich online.
Was der Einzug sozialer Medien in das Leben junger Menschen bedeutet, ist umstritten, wird aber vor allem mit negativen Folgen in Verbindung gebracht: mit Ängsten, Depressivität, Essstörungen und Stress. Gleichzeitig wird das Suchtpotenzial diskutiert. Allerdings kennt das internationale Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation bisher nur die Computer- und Glücksspielstörung.
Ein am Dienstag vom Science Media Centrum in Köln organisiertes Expertengespräch zeigt, dass die Forschung zu den Auswirkungen sozialer Medien auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen große Lücken hat und meist keineswegs eindeutige Ergebnisse aufweist.
“Psychische Gesundheit ist komplex”, sagt Professor Adrian Meier, der an der Uni Erlangen-Nürnberg die psychologischen Folgen digitaler Mediennutzung erforscht. Auf der einen Seite könnten soziale Medien unterhalten, zu Sport oder politischem Engagement motivieren und ein Gemeinschaftsgefühl schaffen. Auf der negativen Seite fänden sich etwa der Druck, etwas zu verpassen, Cybermobbing, Schlafdefizite oder eine Flucht aus dem Alltag.
Entscheidend ist aus Sicht Meiers die jeweilige persönliche Situation. “Selbst wenn sich ein Teenager unrealistische Körperdarstellungen anschaut, muss die Reaktion darauf nicht negativ sein.” Nur eine kleine Minderheit erfahre stark negative Veränderungen in ihrer psychischen Gesundheit. Auch die tägliche Nutzungszeit lässt seiner Ansicht nach keine pauschalen Aussagen über negative Auswirkungen zu.
“Wir wissen verdammt wenig darüber, wie sich die Nutzung sozialer Medien auf das Gehirn auswirkt”, sagt auch Christian Montag, Professor für molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Das liege auch an fehlenden Daten: Genaue Nutzungsprofile würden von den Internetfirmen wie Meta unter Verschluss gehalten. “Wir sind im Wesentlichen auf Selbsteinschätzungen angewiesen.” Und diese Angaben seien häufig verzerrt.
“Die Forschungsergebnisse, die wir haben, zeigen aber, dass ein Zusammenhang zwischen der Nutzung des Smartphones und der psychischen Gesundheit existiert”, sagte der Mediziner. So gebe es eindeutige Studien, dass der “Like-Button” das Belohnungssystem im Gehirn anrege und zu Suchtverhalten führen könne.
Montag plädiert für strenge Altersgrenzen: Unter 13 Jahre alte Jungen und Mädchen sollten Smartphones und soziale Medien so wenig wie möglich nutzen. Sie könnten wegen fehlender Gehirnreifung ihre Emotionen noch nicht richtig regeln. Zugleich wirft er Plattformen wie Tiktok und Instagram vor, diese Altersgrenze bewusst aushebeln zu wollen, um neue Zielgruppen an sich zu binden.
Auch Isabel Brandhorst, die in Tübingen eine Forschungsgruppe zu Sozialen-Netzwerk-Nutzungsstörungen leitet, warnt vor pauschalen Aussagen. Wer beispielsweise über ein geringeres Selbstwertgefühl verfüge und zu Vergleichen mit anderen neige, könne dieses Verhalten durch soziale Medien verstärken.
Brandhorst warnt Eltern vor Moralpredigten und Anklagen. Wichtig sei, dass sie mit ihrem Kind im Gespräch blieben und sich als Partner fühlten. Außerdem sollten sie auch immer eine Vorbildfunktion wahrnehmen.
Um Alarmsignale richtig zu deuten, nennt sie drei Fragen: Habe ich die Nutzung noch unter Kontrolle? Ist die Nutzung für mich wichtiger als andere Lebensbereiche oder als soziale Kontakte? Und: Nutze ich das Handy oder das Computerspiel, obwohl es daraus negative Konsequenzen etwa für die Schule oder die Ausbildung gibt?