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„Wir müssen miteinander leben lernen“

UK 30/2018, Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis (Seite 14: „Programm für ein neues Deutschland“)
Ich bin froh und danke UK für die Erinnerung an Helmuth James von Moltke und den Kreisauer Kreis. Geschichte muss erzählt werden. Damit haben Sie angefangen und ich erlaube mir ein paar Ergänzungen in der Hoffnung, dass UK weitererzählt von den deutschen Menschen, denen wir glauben können, diesem kostbaren spirituellen Erbe.
Der Soziologe Heinz Bude stellt aktuell fest: „Alle westlichen Gesellschaften suchen nach einer Zukunft, die man glauben kann!“ Deswegen ist Ihre Erinnerung wichtig. Denn es gibt keine Zukunft ohne namentliche Erinnerung der verheißenden Vorläufer.
Der aus einer Arbeiterfamilie stammende Julius Fucik – er wurde 1943 im Alter von 40 Jahren von den Nazis ermordet – hinterließ uns ein wertvolles Testament: Fucik ermutigt uns darin, auch diejenigen nicht zu vergessen, deren Namen noch nicht genannt wurden. Hören wir auf ihn und lassen Jugendliche forschen nach den unbekannten Helden und Heldinnen in ihren Familien, Dörfern, Städten, Regionen, auf dass sie unsere Hoffnung stärken.
In weiten Teilen unserer Kirche und unserer Gesellschaft sind die Kreisauer und die anderen Menschen des Widerstands leider immer noch unbekannt. Sabine Friedrich hat uns 2012 von diesen Männern und Frauen erzählt in ihrem Roman „Wer wir sind“. Sie ruft uns zu: „Starrt nicht immer nur auf die Mörder! Stellt nicht immer wieder dieselben Fragen: Wie kommt das Böse in die Welt? Es muss nicht in die Welt kommen, es ist immer schon da. Lasst doch Hitler, seid erbarmungslos, versagt den Tätern den düsteren Ruhm. Verachtet sie einfach. Da! Schaut euch lieber diese hier an, stellt euch dem wirklichen Rätsel: WIE KOMMT DAS GUTE IN DIE WELT?“ Sie schenkte uns mit „Wer wir sind“ verheißungsvolle Geschichte für viele ganz verschiedene Menschen in Deutschland und darüber hinaus.
In ihrem Buch: „Als Hitler valt – Helmuth James von Moltke en de Kreisauer Kreis“ (2016) entdeckt Marlouk Alders als Niederländerin, deren Familie durch die Nazis gequält worden ist, die Kreisauer als deutsche Menschen, mit denen für sie und uns alle unsere gemeinsame Geschichte begonnen hat. Durch die Gutes in die Welt gekommen ist. Sie hat daraufhin beim Aufbau des neuen Kreisau, der internationalen Jugendbegegnungsstätte, mitgewirkt. Die Kreisauer haben ihr neues Vertrauen in den Namen Deutsch gestiftet.
Die Kreisauerin Freya von Moltke hat uns immer wieder erinnert an die Aufgabe, die die Kreisauer sahen und an die Vorschläge, die die Kreisauer uns hinterlassen haben. „Wir müssen miteinander leben lernen. Das ist eigentlich die Aufgabe der kommenden Zeit. Daran mitzuarbeiten, ist mein Leben lang mein Ziel gewesen.“  Sie sah diese Aufgabe nicht nur für Deutschland, sondern für Europa und alle Völker auf unserem Planeten Erde. Denn die Einheit der Welt ist heute täglich erfahrbare Realität. Wie aber die Vielfalt der Menschen und Völker Frieden finden im Leben, das ist unsere Aufgabe.
Im Geiste der Kreisauer hat die evangelische Jugend von Westfalen mehrere Projekte durchgeführt. Daraus ein paar Stimmen zum Schluss: Sami, ein junger Marler mit bosnischen Wurzeln, sprach mich einige Wochen nach unserem Projekt „trees for life“ 2014 in der Türkei an: „Hast du mitbekommen, dass N.N. nach dem Projekt ihre Hassrede völlig abgelegt hat?“ Und auch Özlem kann diese Erfahrungen nicht vergessen. Als ich sie zwei Jahre nach dem Projekt traf, erzählte sie voller Stolz, dass sie ihre Schulkarriere (Hauptschule) ohne Aussicht auf Abschluss nach dem Projekt in eine Erfolgsgeschichte verwandeln konnte. Sie habe ihre  Fachoberschulreife gemacht und bereite sich  gerade auf einen Schüleraustausch nach England vor. In Marl ist sie jetzt aktives Mitglied im Abrahamsfest/Marl.

Thomas Dreessen, Gladbeck