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Wieder zwei Palästinenser mutmaßlich Opfer jüdischer Siedlergewalt

In den vergangenen Monaten hat die Gewalt gegen Palästinenser im Westjordanland zugenommen. Bei den beiden jüngsten Todesfällen sollen die Täter extremistische israelische Siedler sein. Es wäre nicht das erste Mal.

Sayfollah Musallet (20) kam, um den Sommer in seiner palästinensischen Heimat zu verbringen und die Hochzeit eines Cousins zu feiern. Mohammed al-Schalabi (23) wollte heiraten. Am Sonntag sind beide in dem palästinensischen Dorf Al-Mazraa al-Scharkija südöstlich von Ramallah beerdigt worden, nachdem Sayfollahs Vater aus den USA anreiste. Die jungen Palästinenser sind die jüngsten Opfer der Gewalt extremistischer jüdischer Siedler im besetzten Westjordanland.

Moderne Villen mit gepflegten Gärten, dazwischen traditionelle Steinhäuser. Von rund 16.000 Einwohnern leben knapp 4.000 permanent in dem Ort, sagt Samer al-Schalabi, ein Angehöriger des getöteten Mohammed. 90 Prozent haben einen US-amerikanischen Pass, bewegen sich zwischen dem malerischen Dorf und Amerika. “Väter wollen ihre Kinder hier aufwachsen sehen. Sie sollen ihre Kultur, ihre palästinensischen Wurzeln lernen”, so al-Schalabi.

Saif, wie der getötete Sayfollah genannt wurde, war erst am 4. Juni aus Florida gekommen. Sein und Mohammeds Tod legen tiefe Trauer über den Ort. Die Geschäfte sind geschlossen, der Hof einer Schule mit Plastikstühlen in eine Trauerhalle verwandelt. Planen auf hastig errichteten Zeltstangen schützen vor der Hitze des Sommers. Hier treffen sich die Männer des Dorfes, um den Angehörigen beizustehen.

Am Freitagmorgen habe er seinen Sohn zum Frühstück geweckt, so Mohammeds Vater Razek. “Er sagte: ‘Vater, hör zu. Es ist Zeit, dass ich mich verlobe. Ich möchte heiraten.'” Danach sei er zum Freitagsgebet gegangen und von dort zu einer Solidaritätskundgebung gegen Siedlerangriffe in der Region. Am Nachmittag gab es erste Gerüchte über einen Toten. Dann die Nachricht einer Freundin, Mohammed sei verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden. “Als wir dort ankamen, erfuhren wir, dass er nicht da ist.” Auch die zweite Information, dass der Sohn in israelischem Gewahrsam sei, erwies sich als falsch.

Am Abend bestätigten sich die schlimmsten Befürchtungen: Mohammed wird nicht zurückkehren. Nie wieder. Ein Suchtrupp fand den 23-Jährigen nur etwa 150 Meter von der Stelle, an der auch Saif gefunden wurde. Tot, mit einer Schusswunde in der Brust und wie Saif mit Zeichen schwerer Misshandlungen. Die Männer seien zu Tode geprügelt, angeschossen und stundenlang liegengelassen worden, teilten die palästinensischen Gesundheitsbehörden mit.

Die israelische Armee sprach von “gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Zivilisten, bei denen palästinensisches Eigentum zerstört, Brandstiftung begangen, körperliche Auseinandersetzungen ausgetragen und Steine geworfen wurden” – ausgelöst von “Terroristen”, die israelische Zivilisten mit Steinen beworfen und zwei von ihnen leicht verletzt hätten.

Im Fall der zwei getöteten Palästinenser sei eine Untersuchung eingeleitet worden, bestätigte ein Sprecher der Armee gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Zum Zeitpunkt der Tötung der Palästinenser hätten sich keine Soldaten an dem konkreten Ort aufgehalten, hieß es außerdem aus Armeekreisen.

Im Dorf machen sie für die Ermordung extremistische Siedler verantwortlich, die seit der Errichtung eines neuen Außenpostens vor einigen Wochen die palästinensischen Bewohner des Gebiets wiederholt angegriffen haben. “Israelische Siedler umzingelten Saif über drei Stunden lang, während Sanitäter versuchten, zu ihm zu gelangen, aber die Siedlermenge hinderte den Krankenwagen und die Sanitäter daran, lebensrettende Hilfe zu leisten”, heißt es in einer Mitteilung der Familie des US-amerikanisch-palästinensischen Opfers.

Die Familie stehe unter Schock, sagt Saifs Angehörige Diana Haloum. Als Palästinenserin wachse sie auf mit Geschichten über die Familien von Märtyrern. “Wir sprechen über sie, gehen zu ihren Beerdigungen, aber wir wissen nie wirklich, wie sich das anfühlt, bis es uns so nah trifft.” Dieser Freitag habe ihr Leben “für immer verändert”.

Auch Samer al-Schalabi spricht von dem schlimmsten Verbrechen, das er in seinem Leben gesehen habe. “Ich kann nicht verstehen, wie eine Regierung, die von sich selbst als demokratischer Staat spricht, eine solche Existenz von Mördern und Wilden zulassen kann, die diese Kinder mit ihren eigenen Händen töten, und das vor den Augen der Soldaten, vor den Augen der Regierung, vor den Augen aller, die Zeugen sind.”

Sanktionen, die US-Präsident Joe Biden gegen einzelne radikale Siedler verhängt hatte, hob dessen Nachfolger Donald Trump bald nach Amtsantritt wieder auf. Seit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 hat die Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser in den besetzten Gebieten laut Menschenrechtlern massiv zugenommen. Seither wurden im Westjordanland nach UN-Angaben 910 Palästinenser durch israelische Soldaten getötet, 13 durch israelische Siedler und weitere 7 entweder durch Soldaten oder Siedler.

Auch drei junge US-Palästinenser sind unter ihnen, die Fälle weiterhin ungeklärt. Er wisse nicht, wer seinen Sohn erschossen habe, sagt Hafeth Abdel Jabbar. Tawfic war 17, als er im Januar 2024 in den Feldern des Dorfes getötet wurde. “Aber in diesem Fall kennen wir den Schützen. Er fährt einen silbernen Pickup-Truck”, sagt Jabbar. Hilflos und traurig seien sie. Und wütend darüber, “dass unsere Regierung, die amerikanische Regierung, ein solches Regime unterstützt, das rassistisch und extremistisch ist, das diese Siedler unterstützt und ihnen sagt, dass es in Ordnung ist, uns das anzutun”.

In Al-Mazraa al-Scharkija fordern sie Gerechtigkeit. Und dass die USA endlich ihre Verantwortung gegenüber ihren Bürgern wahrnimmt und eine unverzügliche Ermittlung einleitet. Das US-Außenministerium gab an, über Berichte über den Tod eines US-Bürgers im Westjordanland informiert zu sein. Einen Kommentar lehne man jedoch ab – “aus Respekt vor der Privatsphäre der Familie und der Angehörigen”.