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Wie Medien mit Tsunamis, Fluten und Kriegen umgehen können

Der Tsunami 2004 war einschneidend. Für Betroffene und Küstenschutz, aber auch für die mediale Begleitung von Katastrophen. Erstmals gab es Bilder vom Ort des Geschehens – mit weitreichenden Folgen.

Für viele Menschen ist die Weihnachtszeit eine Phase der Besinnung und der Einkehr. Doch vor 20 Jahren, am Zweiten Weihnachtsfeiertag 2004, durchbrach eine Naturkatastrophe ungeahnten Ausmaßes diese Besinnlichkeit. Ein Tsunami forderte in Südostasien unfassbare 230.000 Menschenleben – und hinterließ weltweit Fassungslosigkeit.

Der Zeitpunkt der Katastrophe spielte dem Kommunikationswissenschaftler Florian Meißner zufolge eine Rolle dafür, wie sehr sich das Ereignis in das Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt hat. Meißner forscht an der Hochschule Macromedia in Köln zu Krisenkommunikation. “Die Menschen haben trotz Weihnachten die Medienberichte zum Tsunami intensiv verfolgt, weil diese Katastrophe einfach so unvorstellbare Ausmaße hatte”, sagt er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Weil viele Menschen zu Hause gewesen seien, hätten sie viel Zeit gehabt, die Berichte aus Südostasien anzuschauen, vermutet Meißner. Das könnte auch die hohe Spendenbereitschaft begünstigt haben.

Medien haben mit ihren Berichten einen Einfluss darauf, wie Menschen Krisen wahrnehmen und wie sie sich an sie erinnern. An Kriegen zeigt sich das besonders: Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Sudan und im Jemen ziehen Fachleuten zufolge teils extreme humanitäre Krisen nach sich – mindestens vergleichbar mit denen in der Ukraine und in Gaza. Und dennoch sind die beiden letzteren Kriege dem westlichen Publikum deutlich präsenter – weil die Medienberichterstattung intensiver ist.

Der Tsunami 2004 war als Naturkatastrophe nicht einzigartig. Trotzdem haben das viele Menschen so wahrgenommen, sagt Meißner: “Es hat – auch wegen der Weihnachtszeit – ein paar Tage gedauert, die nötigen Teams zusammenzustellen, um eine umfassende Berichterstattung zu garantieren. Dann war es aber die erste Naturkatastrophe, von der es aufgrund von Handykameras so umfangreiches Bildmaterial gab.” Zuschauerinnen und Zuschauer in Deutschland konnten die Bilder des herannahenden oder schon an Land treffenden Tsunamis kurze Zeit später hautnah mitverfolgen. “Das hatte es zuvor noch nie gegeben”, so Meißner: “Das hat die Krisenberichterstattung sehr geprägt.”

Heutzutage ist es üblich, dass bei Nachrichtenereignissen auch Amateurbilder vom Schauplatz des Geschehens zur Verfügung stehen, gedreht von omnipräsenten Smartphone-Kameras in bester Bildqualität und beinahe ohne Zeitverzögerung oder ganz live über soziale Netzwerke verbreitet. So weit war man 2004 zwar noch nicht. Doch auch damals hatten viele Menschen schon videofähige Handys – und lieferten, wenn auch mit einigen Tagen Verzögerung und niedriger Bildqualität, Videos der Katastrophe in deutsche Wohnzimmer.

Anders als heute konnten Redaktionen den Amateuraufnahmen 2004 auch noch vertrauen, berichtet Meißner. “Die Glaubwürdigkeit dieser Bilder war enorm hoch. Niemand hat dort die Frage nach Manipulation gestellt.” Das sei heute komplett anders: Man erlebe in Krisen diverse Akteurinnen und Akteure, die strategisch und sehr professionell mit Falschinformationen, mit Deepfakes und mit aus dem Kontext gerissenen Bildern und Zitaten arbeiten. “Es kristallisiert sich immer stärker heraus, dass Krisen in hohem Maße instrumentalisiert werden.”

Dabei sei anfängliche Unsicherheit nach einer Katastrophe üblicherweise immer die erste Phase der Krisenberichterstattung: “Kurz nach Ausbruch einer Krise sehen wir oft eine Scheininformiertheit. Es gibt eine große Unsicherheit, was genau passiert ist und wo verlässliche Quellen sind, auf die man sich stützen kann.” Erst in den Tagen danach werde die Lage im Normalfall etwas klarer. Das liege auch daran, dass Katastrophen oft auch die Medieninfrastruktur vor Ort zerstören.

Nach einer Katastrophe habe der Journalismus die ethische Verpflichtung, Warnungen weiterzutragen und die Informationsversorgung sicherzustellen, so Meißner – mindestens, solange noch Gefahr im Verzug ist. “Das haben wir zum Beispiel auch bei der Ahrtal-Flut gesehen, wo etwa Radio Wuppertal die Menschen sehr früh, sehr ausdauernd und auch unter widrigsten Umständen mit Informationen versorgt hat – auch noch, als die Stromversorgung ausgefallen war und mit Notstromaggregat stundenlang weitergesendet wurde.”

Erst nach und nach müssten die Medien dann wieder ihrer eigentlichen Funktion gerecht werden und die Katastrophe und ihre Ursachen kritisch beleuchten. Meißner will Notfallkommunikation und Machtkontrolle nicht gegeneinander ausspielen: “Man kann sowohl der Anforderung nachkommen, Leben zu retten, indem man Warnungen der Behörden weiterträgt, also auch in Krisen eine kritische Funktion übernehmen.” Im Zweifel gehe in einer akuten Gefahrenlage aber vor, Menschen zu retten. “Ich glaube, das kommt in der deutschen Medienlandschaft bisher zu kurz.”

Trotzdem sei es wichtig, irgendwann wieder in die kritische Haltung zurückzukehren: “In der Pandemie wurde häufig kritisiert, dass die Medien zu lange im Notfallmodus verharrt sind. Untersuchungen zeigen da zwar ein differenzierteres Bild, aber es gab zumindest die Tendenz, dass in der Anfangsphase einer Krise erstmal weniger kritische Öffentlichkeit da war”, so Meißner.

2004 befasste sich die kritische Berichterstattung bald vor allem mit der Frage, warum es kein angemessenes Warnsystem gegeben habe: “Der Küstenschutz und der Tsunamischutz sind stark vernachlässigt worden”, sagt Meißner. “Das hat auch damit zu tun, dass es über hundert Jahre zuvor kein Ereignis einer solchen Größenordnung gegeben habe. Das Katastrophengedächtnis der Menschen ist leider relativ kurz.”

Deswegen bleiben die Medien Meißner zufolge auch lange nach der akuten Notsituation in der Verantwortung: “Es ist eine total wichtige Perspektive, dass man kritisch begleitet, wie der Wiederaufbau vonstatten geht und wie man sich besser für zukünftige Katastrophen aufstellt.” Eine Verantwortung, die im Zuge der Klimakrise immer wichtiger werden könnte.