Der Missbrauchsbericht für das Bistum Trier rückt auch die Amtszeit des heutigen Münchner Kardinals Reinhard Marx dort ins Licht. Nicht zum ersten Mal muss er sich dunklen Flecken in seiner Kirchenkarriere stellen.
Kardinal Reinhard Marx hat Erfahrung mit dieser unangenehmen Prozedur. Als Erzbischof von München und Freising gab er 2010 und 2022 einer Anwaltskanzlei den Auftrag, kirchliche Missbrauchsfälle zu durchleuchten. Am Donnerstag geriet der Kirchenmann erneut ins Rampenlicht. Nun ging es um seine Amtszeit als Diözesanbischof von Trier in den Jahren 2002 bis 2008. Wie würde er darauf reagieren?
Das hat er im Grunde schon im März in seinem neuen Buch “Kult” beschrieben. Dort heißt es: “Alle Untersuchungen und Gutachten der letzten Jahre, nicht nur in Deutschland und anderen Ländern westlicher Prägung, zeigen schwere individuelle Schuld von Tätern, persönliches Versagen von Amtsträgern, administrative und organisatorische Fehler, und darüber hinaus auch ein institutionelles und systemisches Versagen der Kirche.”
Insofern bietet die Trierer Studie nichts Neues. Weil die Autoren aber auch konkrete Versäumnisse von Marx auflisten, musste sich dieser abermals erklären. Das tat er schriftlich: “Ich war sehr gerne Bischof von Trier. Umso mehr schmerzt es mich, dass ich erkennen muss, in dieser Verantwortung nicht allen Menschen gerecht geworden zu sein, die meiner bischöflichen Sorge anvertraut waren.” Durch seinen späteren Wechsel nach München habe er das auch nicht wieder gutmachen können.
Marx nimmt sich also nicht aus, auch wenn in Einzelfällen andere aus seinem Stab die entscheidenden Fehler machten. Wie schreibt er in “Kult”? So wie das Amt in der Kirche theologisch verstanden werde, “stehe ich gerade als Bischof auch für die Institution Kirche als Ganzes.” Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass er 2021 Papst Franziskus seinen Verzicht auf das Bischofsamt angeboten habe. “Denn nicht das Amt steht im Vordergrund, sondern das Evangelium. Nicht die Kirche, sondern der Mensch.”
Publik wurde die Nachricht am 4. Juni 2021. Sie kam wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel. Das lag auch daran, dass Marx selbst seinen engsten Kreis nicht eingeweiht hatte. Umso größer war die Aufregung. Aber die Antwort aus Rom ließ nicht lange auf sich waren. Sechs Tage später lehnte Franziskus ab. Stattdessen verlangte er von seinem Mitbruder, sich verstärkt der Seelsorge zu widmen und sich für eine geistliche Erneuerung der Kirche einzusetzen.
Marx hat mit seinen inzwischen 72 Jahren einen Entwicklungsprozess durchgemacht. Der Missbrauchsskandal hat ihn in seinen Grundfesten und sein Bild von der Kirche, aber auch von seiner Rolle als Priester, erschüttert.
In seiner aktuellen Erklärung heißt es, im Nachdenken und in vielen neu gewonnenen Erfahrungen, insbesondere in Begegnungen mit Betroffenen, sei ihm immer deutlicher geworden, “dass ich in meiner Zeit als Bischof von Trier die Thematik sexualisierter Gewalt und sexuellen Missbrauchs nicht so umfassend und klar wahrgenommen habe, wie das angemessen gewesen wäre”. Mit dem Wissen von heute würde er manches anders machen. “Das bedauere ich tief und bitte die Menschen um Verzeihung, denen ich nicht gerecht geworden bin.”
Diese Einsichten hat Marx erst in München für sich gewonnen. Dabei beließ er es nicht nur bei schönen Worten. Im Dezember 2020 brachte er den “allergrößten Teil” seines Privatvermögens in eine Stiftung mit dem Namen “Spes et Salus” ein, was übersetzt “Hoffnung und Heil” bedeutet. Eine halbe Million Euro sollte Betroffenen sexuellen Missbrauchs zugutekommen. “Mir ist klar, Geld kann keine Wunden heilen; aber es kann dazu beitragen, dass Bedingungen geschaffen werden, die Heilungs- und Wandlungsprozesse ermöglichen”, so der Kardinal.
Er stimmte auch zu, als Anfang Februar dieses Jahres der Betroffenenbeirat in seinem Erzbistum im Münchner Liebfrauendom mitten auf dem Altar das 60 Zentimeter hohe Werk “Heart” des Künstlers Michael Pendry aufstellte. Es trägt die Inschrift “Wer heilt die zerbrochenen Herzen?” Bis Ostern blieb das Kunstwerk als Mahnung dort stehen und erinnerte an die Opfer von sexuellem Missbrauch und ihre erlittenen Schmerzen. Inzwischen hat es seinen Platz dauerhaft in der Krypta des Gotteshauses gefunden.
Bereits viermal hat das Münchner Erzbistum einen “Tag der Begegnung” für Betroffene sexuellen Missbrauchs veranstaltet. Immer dabei auch der Kardinal. “Wir haben als Kirche dazu beigetragen, dass Menschen nicht mehr vertrauen können und ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Liebe verlieren. Das dürfen wir nie wieder zulassen, und dafür stehe ich auch persönlich ein und möchte mich weiter in diesem Sinn engagieren.”