Bis 2060 werden die beiden großen christlichen?Kirchen in Deutschland die Hälfte ihrer Mitglieder verloren haben. Die Zahlen der kürzlich veröffentlichten Freiburger Studie verdeutlichen, was viele Christ*innen wussten und jetzt akzeptieren müssen. Auch Stefanie Hoffmann: Die Pfarrerin ist auf eine Kirche im Wandel vorbereitet. Dennoch fragt sie sich: Liegt Gottes Segen noch auf uns und unserer Kirche?
Von Stefanie Hoffmann
Mein Theologiestudium habe ich trotz der Warnung meines Pfarrers angetreten, dass es, wenn ich fertig bin, eh keine Stelle mehr für mich geben wird. Als ich dann mit dem Studium fertig war, hatte sich das alles ins Gegenteil verkehrt. Nun muss ich damit rechnen, dass trotz weniger werdenden Stellen in den nächsten Jahren nicht mehr alle Pfarrstellen besetzt werden können. Ich muss mich auf ein Leben als Pfarrerin mit zahlreichen Vakanzvertretungen einstellen. Angst macht mir das nicht. Ich bin den Weg ins Pfarramt im Bewusstsein angetreten, dass sich die Kirche und kirchliche Strukturen im Wandel befinden. Und ich habe Lust, diesen Wandel mitzugestalten. Jedoch scheint die Hoffnung, dass der Schwund an Mitgliedern und Relevanz in der Gesellschaft irgendwann auf einem niedrigeren Niveau stehen bleibt, wir gewissenmaßen am Boden angekommen sind, – zumindest statistisch – nicht zu tragen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Zustand immer kleiner werdender Gemeinden und damit auch immer geringer werdender personeller und finanzieller Ressourcen keine kurze Phase ist. Ich stehe vor einem unüberschaubar langen Zeitraum, in dem die Kirche weiter schrumpfen wird. Eine Tatsache, die ich anfangen muss zu akzeptieren. Und diese Akzeptanz ist schwer. Kirche ist in ihrem Wesen nicht darauf ausgelegt, zu schrumpfen. Als Volkskirche ist es Teil unseres Wesens, überall vor Ort zu sein. Verantwortung auch dort zu übernehmen, wo sich andere längst aus der Verantwortung gezogen haben. Die Kirche bleibt im Dorf! Aber gerade die vielen kirchlichen Gebäude, die sich kaum mehr füllen lassen und die kleingliedrige Struktur hängt uns je länger je mehr als schwerer Klotz am Bein. Aber auch jenseits von unserer weltlichen Verfasstheit ist eine schrumpfende Kirche schwer denkbar. Wenn wir uns nicht als Märtyrerinnen und Märtyrer des Systems oder eines irgendwie zu klassifizierenden Feindes verklären wollen, müssen wir Kirche neu denken lernen. Mit dem Missionsbefehl in den Ohren und allerlei Wachstumsgleichnissen in der Frohen Botschaft kommen wir um eine Frage nicht herum: Liegt Gottes Segen noch auf uns und unserer Kirche, auch wenn die Suche nach den Früchten des Glaubens schwer fällt?Es fällt mir schwer, die Frage an dieser Stelle unbeantwortet zu lassen. Mein seelsorgerliches Verantwortungsgefühl schreit dagegen, genauso wie meine Hoffnung auf Gottes übergroße Gnade. Aber ich will es dennoch wagen und eine Antwort schuldig bleiben. Weil ich fest davon ausgehe, dass dies unsere je eigene Herausforderung ist, um stark zu bleiben oder stark zu werden für die Aufgaben, die in den nächsten Jahren vor uns liegen: uns Gott und seines Segens gewiss zu sein. Und dafür müssen wir die Frage zulassen, die hinter so vielem steht, was wir tun und lassen. Wir müssen die Angst zulassen, die im Hintergrund mitschwingt, wenn wir den Sinn aus den Augen verlieren, warum wir tun, was wir tun. Wenn wir trotz eifriger Geschäftigkeit, unsere Strukturen zu reformieren, und unseren Versuchen mit weniger Mitteln alles aufrecht zu erhalten, was es doch schon immer gab, sich dennoch das Gefühl eines „Nie genug“ in uns breit macht. Und dann, so möchte die Hoffnung in mir wieder rufen, wird sich der Rest schon ergeben. Und davor und immer wieder dazwischen darf die Klage stehen und die Suche nach neuer Glaubensgewissheit.
Stefanie Hoffmann ist landeskirchliche Pfarrerin für Kirche im digitalen?Raum.