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Wie die extreme Rechte in Bayern Wähler mobilisiert

Rechtsextremismus hat viele Gesichter. Seine Propaganda kommt mittlerweile viel subtiler und subversiver daher. Springerstiefel und Glatze waren einmal, heute wird auf Social Media für einen bestimmten Lifestyle geworben. Ein neuer Forschungsverbund zum Rechtsextremismus in Bayern (ForGeRex) will die Strategien der extremen Rechten nun genauer unter die Lupe nehmen. Die Politologin Clarissa Rudolph von der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg stellt als Sprecherin das auf vier Jahre befristete und vom bayerischen Wissenschaftsministerium geförderte Projekt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) vor.

epd: Frau Rudolph, warum braucht es einen Forschungsverbund, um das Phänomen Rechtsextremismus zu untersuchen?

Rudolph: Rechtsextremismus ist keine einfache Bewegung oder Partei, sondern es ist ein komplexes Phänomen mit ganz unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren, die auf unterschiedliche Art und Weise agieren. Um das alles in den Blick zu kriegen, brauchen wir verschiedene Disziplinen, die auf unterschiedlichen Ebenen und mit verschiedenen Herangehensweisen die Aktivitäten, Einflussnahmen und Ausprägungen des Rechtsextremismus in Bayern angucken.

epd: Neun Teilprojekte an Hochschulen und Universitäten in München, Nürnberg, Augsburg, Passau und Regensburg sind entstanden. Welche zum Beispiel?

Rudolph: Soziale Medien sind ein wichtiges Mittel, mit dem extrem rechte Akteure versuchen, Einfluss zu nehmen – gerade auf junge Menschen. Deshalb haben wir die Kommunikations- und Medienwissenschaften mit an Bord. Oder auch die soziale Arbeit, die im Bereich marginalisierter Gruppen aktiv ist und oft zu den Zielgruppen gehört.

epd: Wie lautet das Untersuchungsziel?

Rudolph: Zum einen untersuchen wir das Ausmaß und die Erscheinungsformen der extrem Rechten in Bayern. Das zweite Thema sind politische Ikonografie und Narrative im Rechtsextremismus. Das dritte Querschnittsthema ist Ethik in der Forschung zu Rechtsextremismus.

epd: Welche „Erzählungen“ benutzt der Extremismus, um sichtbar zu werden?

Rudolph: Wenn wir uns in der Migrationsdebatte an das Jahr 2015 erinnern, da hatten wir Bilder von klatschenden Menschen am Münchner Hauptbahnhof. Migration hatte da noch eine positive Konnotation. Das hat sich total gewandelt: Die Helfenden, das sind jetzt die „Woken“ und „Gutmenschen“, und alle anderen sind überfordert. Diese Diskursverschiebung hat etwas mit der extrem Rechten zu tun – nicht nur, aber auch.

epd: Sie meinen, das Thema wurde von der extrem Rechten instrumentalisiert?

Rudolph: Einschneidend war da die Kölner Silvesternacht. Danach hieß es insbesondere von der extrem Rechten: Wenn wir Feminismus richtig denken, müssen wir die deutschen Frauen vor den migrantischen Männern schützen. Dabei werden die Bilder verkehrt und neu zusammengestellt: Echter Feminismus sei also der Schutz der deutschen Frau vor dem nordafrikanischen schwarzen Mann.

Oder Solingen und der Messerangriff: Das war schrecklich, aber es war ein singulärer Fall. Unser Rechtsstaat schaut Fälle individuell an und verteufelt nicht kollektiv alle Männer. Wir schließen ja auch nicht das Oktoberfest, weil es sexuelle Übergriffe gibt. Die Debatten der extrem Rechten werden aber so geführt, dass kollektiviert wird und sie gegen die Figur des bösen Migranten gerichtet sind.

epd: Welchen Einfluss nimmt die extreme Rechte auf die soziale Arbeit?

Rudolph: Es gibt zwei Erhebungen dazu in Nordrhein-Westfalen und in Mecklenburg-Vorpommern, die wir für Bayern weiterentwickeln. Gefragt wurde, inwieweit in Feldern der sozialen Arbeit extrem rechte Menschen aktiv sind oder inwieweit sie in bestimmten Handlungsfeldern selber Angebote machen, weil diese wegen Einsparungen weggefallen sind. Überall dort, wo es vulnerable Gruppen gibt, existieren Ansatzpunkte für die extremen Rechten.

epd: Sie beobachten bereits eine Infiltration der bayerischen Gesellschaft?

Rudolph: Unsere These ist, dass es diese Infiltration gibt. Als Wissenschaftlerinnen haben wir den Auftrag, diese Thesen zu belegen. Deswegen wollen wir jetzt eine umfassende und gründliche Untersuchung, Erhebung und Analyse machen. Wir gucken uns erstens das Ausmaß an und wollen dann qualitativ untersuchen, wie wirkt das tatsächlich und welche Gegenstrategien gibt es.

epd: Warum befasst man sich so spät mit der Analyse des Rechtsextremismus?

Rudolph: Mir ist es auch aufgefallen, dass in Bayern die Rechtsextremismus-Forschung nicht sehr ausgeprägt ist. Wir hoffen, mit dem Verbund auch einen Anstoß zu geben, dass sich das ändert. Ich denke aber, dass die Relevanz des Themas inzwischen deutlicher geworden ist. Als wir mit der Idee des Verbunds an das Ministerium herangetreten sind, waren die Verantwortlichen gleich sehr offen dafür und haben uns unterstützt, dass dieser Verbund auch starten kann.

epd: Welche Lehren sind aus den drei letzten Wahlen in Ostdeutschland zu ziehen?

Rudolph: Wenn wir die soziale Infrastruktur vernachlässigen oder den Rechten überlassen, dann passiert das, was wir im Moment feststellen können, nämlich dass es Wahlerfolge für die AfD gibt. Es ist gut, dass der Verfassungsschutz mittlerweile die Gefahr des Rechtsextremismus erkannt hat. Aber es ist nicht nur ein sicherheitspolitisches Problem, sondern es ist ein Problem, das in allen gesellschaftlichen Bereichen relevant ist. (00/3006/10.10.2024)