Trump bringt es fertig, die US-Gewaltenteilung ab absurdum zu führen, Weltordnung und Welthandel aus den Angeln zu heben und mehreren Ländern zugleich mit Annexion oder Krieg zu drohen. Wer kann da für die Welt sprechen?
Die Welt reibt sich die Augen, noch ungläubiger als in der ersten Amtszeit von Donald Trump. Binnen kürzester Zeit bringen es der verurteilte Straftäter und seine Kumpane JD Vance und Elon Musk fertig, die Gewaltenteilung in den USA ab absurdum und das Land so in Richtung Diktatur zu führen; zudem Weltordnung und Welthandel aus den Angeln zu heben und mehreren Ländern zugleich mit Annexion oder Krieg zu drohen: Kanada, Grönland, Panama, Iran – vom irrlichternden US-Kurs im Ukraine- und im Gaza-Krieg ganz zu schweigen. Den Gazastreifen will Trump zu einem Disneyland oder einer neuen Riviera machen – frei von Palästinensern natürlich. Man müsste lachen über all den Cäsarenwahn, wäre die Weltlage nicht so bitterlich ernst.
Auf der anderen Seite Russlands aggressiver Kriegführer Wladimir Putin mit seinen willfährigen Trabanten, heißen sie Lukaschenko, Orban oder Fico. Oder China, das sich Marktführerschaft und regionaler Hegemonie weit mehr verpflichtet fühlt als irgendwelchen Rechtsstandards oder Menschenrechten.
Da muss die Frage erlaubt sein: Wer kann eigentlich noch für die Menschheit sprechen? Es ist arg dünn geworden in den Reihen der moralischen Autoritäten der Kategorie Weltgewissen. Nelson Mandela, Mutter Teresa, Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Desmond Tutu – alle tot; auch Jimmy Carter, Helmut Schmidt, Vaclav Havel oder Queen Elizabeth II.
Gehen wir sie durch: Da ist Charles III. (76), durch eine Krebserkrankung geschwächt unter der Last der Krone, die er allzu spät erst übernehmen konnte. Als 16-faches Staatsoberhaupt des Commonwealth of Nations hat er sicher geografischen und historischen Weitblick – aber auch die Lektion verinnerlicht, dass er als konstitutioneller Monarch keine politische Rolle zu spielen hat. Eine für ihr ökologisches und kulturelles Engagement weithin respektierte Persönlichkeit – aber ein Weltgewissen?
Da ist der 14. Dalai Lama (89), religiöses Oberhaupt der Tibeter und Reinkarnation des Gottes des Mitgefühls. Ein guter Kandidat – zumal er seit der chinesischen Besetzung Tibets 1950 aller weltlichen Macht entkleidet ist. Seit Jahrzehnten wirbt der Dalai Lama auf internationalen Reisen für Frieden und Völkerverständigung – und hat sich dabei abgenutzt. Gerade in Deutschland haben sich einige Medien auf ihn eingeschossen. Er stehe für schlichte “Fußabtretersprüche” und kaschiere mit seinem Charme nur ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsmodell für Tibet, meinen Kritiker.
Die Fridays-for-Future-Frontfrau Greta Thunberg (22) startete als Adler und landete… – ja, als was? Die Klimaschutzaktivistin, Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2019, rief einst den in New York versammelten Staatenvertretern der Vereinten Nationen furchtlos zu: “Wie könnt ihr es wagen?” (How dare you?). Inzwischen hat sich Thunberg in einem derart propalästinensischen Aktivismus verloren, dass es nicht mehr nur Juden als Antisemitismus empfinden.
Da sind die UNO-Generalsekretäre. Kofi Annan (gest. 2018) war einer von maximalem Format; Ban Ki-Moon (80) einer von maximalem Bemühen, doch mangelndem Charisma. Antonio Guterres (76; ab 30. April), der aktuelle Amtsträger, hat Charisma; doch seine Stimme dringt nicht wirklich durch. Überhaupt werden die obersten Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft nach Proporz bestimmt – und sollen den Mächtigen nie allzu sehr auf die Zehen steigen.
Da sind die Hansdampfe, die geborenen Hoffnungsträger. Tony Blair (71; ab 6. Mai 72) war so ein Aufsteiger, bei dem sich in den 90ern selbst seine Gegner anerkennend zuraunten: “Verdammt, ist der gut…!” Seine Nibelungentreue zu George W. Bush im Irak-Krieg kostete ihn jedoch seine moralische Autorität. Emmanuel Macron (47) in Frankreich, einst ein vermeintlicher Deus ex machina; inzwischen angezählt als eitler Egozentriker und als politischer Hasardeur.
Die Mediengesellschaft spielt auch eine Rolle: Wie unendlich viel Geschick braucht jemand, der für moralische Standards einsteht, damit er nicht doch irgendwann “runtergeschrieben” wird? Sicher eine Kehrseite des investigativen Journalismus.
Deutsche lieferten gute Kandidaten, seit sie keine Weltkriege mehr entfachen. Angela Merkel, Kanzlerin der Flüchtlingskrise. Helmut Kohl, “Weltgeschichtler”, aber kein Saubermann. Frank-Walter Steinmeier, Joachim Gauck, Richard von Weizsäcker: respektable, solide Bundespräsidenten allesamt. All die Dichter, Denker, Philosophen, ja … – aber können Deutsche nach dem Holocaust überhaupt noch Weltgewissen sein?
Ein geborener Kandidat müsste – eigentlich – der US-Präsident sein, aber ach … Und die Friedensnobelpreisträger? Al Gore (77), Barack Obama (63), Denis Mukwege (70). Sie versuchen’s ja, erheben ihre Stimme gegen Umweltverbrechen, Hinrichtungen, Kriege, Rassismus, Gewalt gegen Frauen; auch in verschiedenen Konstellationen, etwa im Ältestengremium der Elder Statesmen (“The Elders”, seit 2007). Philantropen wie Bill Gates (69) oder die engagierten Stars des Show-Biz: Bob Geldof (73), Bono (64; ab 10. Mai: 65), Emma Watson (35), Wolfgang Niedecken (74). Sie tun was, kriegen den Hintern hoch, machen “Band Aid” und bringen Abermillionen auf.
Und dann gibt’s da noch einen: den obersten Brückenbauer (Pontifex maximus), Bischof von Rom, Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken weltweit. Natürlich – da ist die Kirchengeschichte von 2.000 Jahren; sind Religionskriege, Kreuzzüge und Lehrkonflikte. Wahrscheinlich sind auch sie Gründe dafür, warum Päpste nie den Friedensnobelpreis erhalten haben. Mit den Konzilspäpsten Johannes XXIII. und Paul VI.; mit dem Kommunistenbezwinger Johannes Paul II., dem “Professor-Papst” Benedikt XVI. und dem Umwelt- und Menschlichkeits-Papst Franziskus haben sie die Weltgeschichte seit 1960 mitgeprägt.