Von Harald Mallas
Das Presbyterium ist ratlos. Eine kaum bekannte christliche Gruppe möchte einen Raum des Gemeindehauses anmieten. „Wen holen wir uns da ins Haus, vielleicht eine Sekte?“ – fragen manche. Aber auch: „Wer hilft uns bei der Entscheidung?“.
Eltern zeigen sich besorgt über spiritistische und neuheidnische Umtriebe an der Schule. Wie reagieren? Was für die Kinder ein Abenteuer ist, kann brandgefährlich sein, ahnen sie.
Es gibt Situationen, in denen Religiosität zu einer Gefahr werden kann, wo Freiheit zu Zwang wird und Menschen in tiefe Abhängigkeit geraten. Da ist guter Rat notwendig. Seit dem 1. Februar ist das Referat für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche von Westfalen im Amt für missionarische Dienste (AmD) wieder neu besetzt (siehe Seite 5): Pfarrer Andreas Hahn kümmert sich um die Beratung von Hilfesuchenden und informiert über die Szene. Schon während seiner Zeit an der Universität in Tübingen beschäftigte den Theologen die Frage, was Menschen außerhalb der Kirche bewegt. „Das ein wenig ,Exotische‘ hat mich angezogen“, sagt er. Schon damals knüpfte er Kontakte zur Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), die zu der Zeit in Stuttgart ansässig war (heute Berlin).
Mit dem Begriff „Sekte“ hat Andreas Hahn seine Probleme. Oftmals, so beobachtet er, werde allein aus Stilfragen – etwa wie eine Freikirche ihren Gottesdienst feiert – gleich ein Sektenvorwurf. Im Grunde hält er den Begriff für untauglich. Es sind Prozesse, die ablaufen, in denen sich eine Gruppierung „versektet“ oder aber auch „entsektet“, wie an der Entwicklung der Neuapostolischen Kirche zu beobachten ist, die aus dieser Ecke wieder herauskommen will.
Nach dem Gemeindepfarramt nahm der Theologe Einblick in das evangelikale Glaubensspektrum als Religionslehrer an einer Bekenntnisschule in Bielefeld. „Wie kann man Evangelikale mit ihren Prägungen mitnehmen, damit sie nicht in ihrer Binnenkultur leben, sondern in der Lage sind, sich gesellschaftlich zu orientieren?“, beschreibt er eine wesentliche Aufgabe dieser Jahre. Er bemühte sich, dafür zu werben, „dass man die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung verwenden kann, ohne dass gleich der Glaube den Bach runtergeht“.
Nun steht Hahn vor neuen Herausforderungen: „Die weltanschauliche Szene ist schier unüberschaubar geworden.“ Gab es vor 15 Jahren noch erkennbare Blöcke, hat die Pluralisierung der Lebensstile zu einer riesigen Grauzone geführt. „Menschen wählen zunehmend individuell ihre Religion (Baukasten) und gestalten sie auch so.“
Hahn freut sich auf seine Tätigkeit. Viele Anfragen erreichen ihn bereits und die Evangelische Kirche wird als kompetenter Ansprechpartner geschätzt, so seine Erfahrung. Aber ohne andere Mitwirkende ist das nicht zu schaffen. So versteht sich Hahn als Netzwerker und kann sich vorstellen, Menschen in Kirchenkreisen und Gemeinden weltanschauliche Kompetenz zu vermitteln. Sie sollen selber unterscheidungs- und orientierungsfähig werden.
Dazu benötigt die Gemeinde, wie auch der einzelne Christ, festen Grund. „Die eigene Glaubensvergewisserung ist hier tragend.“ Ein Mensch muss nicht perfekt sein im Leben. „Jesus schafft es, aus Bruchstücken meines Lebens etwas zu machen“, sagt Hahn. Das sei die wichtigste Schutzmauer gegen Verunsicherung.
Was tut sich bei den traditionellen Gruppierungen? „Scientology stagniert gerade“, beobachtet Hahn, „die Zeugen Jehovas haben eine starke Öffentlichkeitspräsenz, gerade auch im Internet“. Die Neuapostolische Kirche, die sich an manchen Orten um eine ACK-Gastmitgliedschaft bemüht, sieht er „auf einem guten Weg“. Es tun sich aber im Bereich des Neuheidentums in Verbindung mit Rechtsradikalen neue Abgründe auf, etwa im Bereich rituelle Gewalt. Allerdings agieren diese Gruppen stark im Verborgenen.
Welchen Rat gibt er für das Gespräch mit gefährdeten Menschen? Der Kontakt sollte so lange wie möglich gehalten werden. Eine Verurteilung des Menschen oder die seines Glaubens hilft nicht. Er soll spüren: Wir halten zu dir. Hilfreich kann sein, von anderen Wegen des Glaubens zu erzählen, Alternativen aufzuzeigen. Das Potenzial des christlichen Glaubens sei längst nicht ausgeschöpft.
Erfreut zeigt sich Hahn von der Entwicklung, unter dem Dach der Kirche Evangelikale, Pietisten und Charismatiker zusammenzubringen. Die Erkenntnis auf allen Seiten ist: Es geht um Christus. Unter den Evangelikalen sind nach seiner Einschätzung 90 Prozent bereit, alte Gräben zu überwinden. Es gebe allerdings den „rechten Rand“ der Evangelikalen, der den „wahren“ Glauben bedroht sieht.
Kontakt
Pfarrer Andreas Hahn
Tel.: (02 31) 54 09 52
E-Mail: andreas.hahn@amd-westfalen.de