Seit mehr als acht Wochen hat Daniela Farre ihre Kinder Ilyas (8) und Aleena (6) nicht mehr gesehen. Auch die jüngste Sprachnachricht ist schon etliche Wochen alt. „Aber Mama“, sagte Ilyas am letzten Pfingstferienwochenende, „am Sonntag bist Du zurück, das muss halt echt sein, wir müssen zur Schule“. Nur: Farre war nie weg, sondern hat zu Hause in Höchberg bei Würzburg auf ihre Kinder gewartet. Die sind damals angeblich im Türkei-Urlaub mit ihrem Noch-Ehemann. Inzwischen steht fest: Er hat sie entführt.
Farre wirkt sehr gefasst, als sie ihre Geschichte erzählt. Als wäre es eine Art Schutzpanzer, wenn sie berichtet, was ihr und ihren Kindern in den vergangenen Wochen und Monaten widerfahren ist. Die Trennung von ihrem Noch-Mann Yousuf S. sei alles andere als einvernehmlich verlaufen; schon mehrmals habe er damit gedroht, die Kinder zu entführen. Doch als die 43-Jährige dem Familienrichter in Frankfurt-Höchst das erzählte, winkte er ab. Es spreche nichts gegen Auslandsurlaube des Vaters mit den Kindern. Zweimal geht es gut.
Vor den Pfingstferien habe sie ein besonders schlechtes Gefühl gehabt, sagt sie. Das Familiengericht jedoch hatte ihr beim letzten Mal schon zu verstehen gegeben, dass ihr ein weiteres Insistieren als Querulantentum ausgelegt wird. Also schwieg Farre. Mit ungutem Gefühl im Bauch. „Ich hatte recht“, sagt sie verzweifelt und resigniert zugleich. Das zuständige Familiengericht lässt eine Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unbeantwortet.
Das Polizeipräsidium Unterfranken und die Staatsanwaltschaft Würzburg bestätigen den von Farre geschilderten Sachverhalt – ohne auf weitere Details einzugehen oder Fragen zu beantworten. Man wolle aus „ermittlungstaktischen Gründen“ nicht über die aktuellen oder weiteren Maßnahmen informieren, teilt etwa der Sprecher der Würzburger Staatsanwaltschaft mit. Die Polizei schreibt auf eine epd-Anfrage, sie habe „alle Maßnahmen ergriffen“ und ergreife sämtliche Maßnahmen, „die rechtlich möglich und zielführend sind“.
Das allerdings bezweifelt Farre. Als die Kinder nach den Pfingstferien nicht wieder bei ihr auftauchten, ging sie zur Polizei. Sie schilderte ihren Fall, doch sonderlich ernst genommen fühlte sie sich nicht. Die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden sei in solchen Fällen schwierig – zumal, wenn der Vater auch sorgeberechtigt sei, sagten die Polizisten nach Farres Darstellung. Die Polizei hingegen sagt, es habe frühzeitig eine Kontaktaufnahme zur türkischen Polizei gegeben. Details gibt es – aus ermittlungstaktischen Gründen – auch dazu nicht.
Der Fall von Daniela Farre und ihren beiden Kindern klingt wie aus einem TV-Krimi – und doch sind solche Fälle gar nicht so selten. Im Jahr 2023 gab es laut bayerischem Innenministerium alleine im Freistaat 87 Fälle von „Entziehung minderjähriger Kinder“ zwischen 0 bis unter 14 Jahren, wie der Tatbestand im Strafgesetzbuch heißt. In den vergangenen Jahren waren die Fallzahlen ähnlich hoch, mit einer mittelfristig leicht steigenden Tendenz. Die Polizei habe auch ohne Haftbefehl gegen die Entführer verschiedene Möglichkeiten.
Ob und wie diese im Fall von Ilyas und Aleena genutzt wurden, ist mangels Detailauskunft der Behörden nicht bekannt. Daniela Farre weiß auch nicht, ob sich ihr Noch-Mann mit den Kindern weiterhin in der Türkei aufhält. Er hat afghanische Wurzeln, kam vor rund 30 Jahren als Kind nach Deutschland, hat einen deutschen Pass. „Seine Familie mauert total, sie schützt ihn“, sagt Farre. Seit 2. Juli hat sie keinen Kontakt mehr zu ihm. Seine digitalen Spuren enden im Nichts, er nutzt stets sichere VPN-Verbindungen zur Kommunikation.
Noch hat Farre die Hoffnung nicht aufgegeben. Freunde und Familie geben ihr Kraft. Und die Anteilnahme im Netz. Dort hat Farre ihren Fall öffentlich gemacht und um Spenden gebeten. Sollten die Behörden nicht vorankommen, will sie Privatdetektive einschalten und ihre Kinder zurück entführen lassen. Dass das rechtlich heikel ist, weiß man spätestens seit dem Fall der „Block House“-Erbin Christina Block, der man genau dies vorgeworfen hat – nämlich ihre entzogenen Kinder zurück entführt haben zu lassen.
Zunächst einmal soll nun aber das Sorgerecht per Eilverfahren komplett auf Daniela Farre übergehen. Ihre Rechtsanwältin sei bereits damit beschäftigt. Einen solchen Gerichtsbeschluss könne man dann ins Türkische übersetzen und über die deutsche Botschaft in der Türkei an die dortigen Polizeibehörden übermitteln lassen. „Die Mitarbeiter der deutschen Botschaft haben mir bei einem Telefonat zu diesen Schritten geraten – von der Polizei in Würzburg habe ich solche Hinweise nicht bekommen.“