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Warum ich?

Ich bete, gehe in den Gottesdienst, engagiere mich für meinen Nächsten. Warum bekomme ich dann trotzdem Krebs? Warum das Denken in „Ursache und Wirkung“ da nicht weiterhilft

Eine junge Frau. Mitte 30, Dozentin an der Hochschule. Gerade ist sie Mutter geworden. Sie und ihr Ehemann engagieren sich in der Kirche. Die Familie ist geschätzt und beliebt. Die Frau wähnt sich im siebten Himmel.
Da kommt die Diagnose: Krebs, fortgeschrittenes Stadium.
Alles zerbricht.
Kate Bowler heißt die Frau, und sie hat ihr Schicksal in der New York Times aufgeschrieben. Was die Geschichte so bemerkenswert macht: Bis zur Erkrankung hatte Kate Bowler ihr Lebensglück als garantiert angesehen. „Ich war gläubig, fleißig, tüchtig, begabt“, schreibt sie. „Dass Gott mein Leben segnet, erschien mir selbstverständlich.“
Kate Bowler hat Erfahrung mit dieser Sicht der Dinge. Jahrelang hatte sie mit amerikanischen Christen über deren Glaubensverständnis gesprochen und dann ein Buch darüber geschrieben. Übersetzt: „Gesegnet: Die Geschichte des amerikanischen Wohlstands-Evangeliums“.
Wohlstands- oder Erfolgs-Evangelium. In Deutschland mag diese Sicht der „Guten Nachricht“ nicht so verbreitet sein wie in Amerika und Afrika. Aber die Frage, die sich für Kate Bowler angesichts ihrer Erkrankung daraus ergab, erschüttert wohl alle Christen:
Warum?
Warum Krebs? Warum ich? Warum mein Sohn? Meine Mutter?
Als Christen glauben wir an einen Gott, der uns von Tod und Leid erlöst. Der Gutes will. Warum lässt er dann das Leid zu? Der menschliche Verstand verlangt nach Antworten. Ursache und Wirkung – der Mensch kann nicht anders, als in diesen Kategorien zu denken. Was ist dann aber Leid? Was Glück? Müssen sie nicht als Strafe und Belohnung verstanden werden?
Jesus sagt dazu: Nein, so ist es nicht (Lukas 13,4-5). In Gottes Augen sind alle Menschen Sünder. Er belohnt niemanden, auch nicht mit Reichtum oder Gesundheit, weil der sein Leben vielleicht etwas besser als andere auf die Reihe bekommt.
Woher kommen Glück und Leid aber dann? Zufall? Schicksal? Seelenlose Naturgesetze? Selbst dann bleibt die Frage: Warum lässt Gott das zu? Warum setzt er solche „zufälligen“ Spielregeln ein, wenn wir ihn auf der anderen Seite in Gebet und Fürbitte für unser Wohl und das der Mitmenschen bitten sollen?
 So sehr sich die Menschen seit Jahrhunderten nach einer Antwort verzehren: Sie finden sie nicht. Die Frage nach dem „Warum“ bleibt Gottes Geheimnis.
Was den Gläubigen bleibt, ist das Vertrauen. Vertrauen darauf, dass alles gut wird. Vielleicht nicht jetzt. Nicht morgen. Aber im künftigen Leben. Denn diese Welt ist vorläufig; ein Vorläufer der kommenden Welt. Hier schimmert durch, was dort dann sein wird. Dort wird das Fragen aufhören. Weil es keine Begrenzungen mehr geben wird.
Kein Krebs. Kein Herzinfarkt. Keine Lüge. Keine Untreue. Keine Hartherzigkeit und keine Gewalt mehr. Das ist das Himmelreich. Hier, im Diesseits, bekommen wir nicht alles, nur eine Ahnung davon, wie es dort sein wird. Das gibt uns aber den Mut, getröstet und mit aller Kraft das Leben hier zu leben. Und das zu tun, was richtig ist.