Mehr spazieren gehen – diesen Wunsch äußerten schon im Sommer zwei Drittel der Menschen in Deutschland. Unter den Neujahrsvorsätzen belegt “mehr Bewegung” den Spitzenplatz. Warum nicht gleich an Neujahr starten?
Ein Neujahrsspaziergang trotz möglicherweise grauem Wetter oder gar einem Kater – aus Sicht eines Psychotherapeuten wäre das “eine prima Idee”. Wie man einen solchen bewegten Start ins Jahr gestalte – alleine oder mit anderen zusammen -, müsse jede und jeder für sich entscheiden, sagte Andreas Hillert der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dies habe einerseits physiologische Gründe: Schon zehn Minuten kreislaufaktivierende Tätigkeit am Tag stärkten etwa die Herzgesundheit, könnten aber auch gegen Depressionen wirken.
Zudem ergäben sich aus frischer Luft, dem Austausch mit anderen oder einer Reflexion von Natur und Miteinander viele Aspekte, “die eine Standortbestimmung und Achtsamkeit nahelegen – im Sinne bewusster Reflexion im Hier und Jetzt”, sagte der Chefarzt der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Ein kontemplatives Einlassen auf die Umgebung sei heute jedoch für viele Menschen schwierig. Typische Gedanken seien: “Die Zeit könntest du doch auch besser nutzen, was soll das Ganze? Ist das überhaupt effektiv?”
Aktiv zu beobachten, was man gerade sehen, hören, riechen und fühlen könne, sei eine Übung, die zu Entspannung und mehr Achtsamkeit beitrage. Allerdings sei eine entsprechende Grundhalten gewissermaßen aus der Mode gekommen, so Hillert – “in unserer unsicheren, zwischen der Hoffnung auf immer weiteren Fortschritt und der Angst vor diversen Katastrophen aufgescheuchten Gesellschaft”.
So sei das Sterben geradezu tabuisiert: “In Achtsamkeits-Büchern von vor 20 Jahren gibt es die Übung der Grabrede: Stellen Sie sich vor, Sie sind gestorben. Wie sollte die Rede aussehen, die an Ihrem Grab gehalten wird? Was war Ihnen im Leben wichtig?” Hierzulande sei dies inzwischen mit der “Rede zum 80. Geburtstag” ersetzt worden, weil niemand mit der Endlichkeit des eigenen Lebens konfrontiert werden wolle.
Ideal wäre dagegen, “den eigenen Relativitäten und Vergänglichkeiten nicht nur, aber auch an Eckdaten wie dem Jahreswechsel achtsam zu begegnen”, so Hillert. Wer unrealistischen Zielen nachjage, werde letztlich unzufrieden. Aus diesem Grund hätten viele Neujahrsvorsätze “ein Haltbarkeitsdatum, das kaum über den 2. Januar hinausgeht”. Denn: “Jede Veränderung, auch der kontemplative Spaziergang, bedeutet zunächst mehr Anstrengung.” Ratsam sei es, den diesbezüglichen Aufwand und Nutzen abzuwägen und sich zu fragen, wie viel Mut man investieren wolle, um das eigene Leben und Erleben breiter aufzustellen.